Dienstag, 5. Juli 2016

17. Erzählcafé im Körnerkiez

Do, 23. Juni 2016

Jens Karsten – Gärtner des Körnerparks

Der Körnerpark hat Geburtstag und wird hundert Jahre alt. Deshalb richtet ihm das Kulturamt in diesem Sommer ein Fest aus, das hundert Tage umfasst. Es hat einen wunderbaren Kalender herausgegeben, der das Festprogramm enthält, aber auch Hintergrundinformationen, Historie, Gedichte und Geschichten. Alle Kiezbewohner sind sich einig: der Körnerpark ist einzigartig, ein Juwel. Und er ist, trotz intensiver Nutzung, wunderbar gepflegt. Nichts liegt näher als den Gärtner des Parks, Jens Karsten, in das Erzählcafé einzuladen.

Weil es im Rahmen des Jubiläums ein fest verankerter Programmpunkt ist, bitten wir in den Kreativraum neben der Galerie im Körnerpark. Doch dort arbeitet gerade die Künstlerin Almyra Weigel, um ihren Beitrag zum Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“ vorzubereiten. So tagen wir im Freien. Das passt ja auch zu unserem Gast. Es ist ein ungewöhnlich heißer Tag. Dennoch finden sich genug Besucher für eine interessante Runde ein.


Nichts aus der Kindheit von Jens Karsten deutet darauf hin, dass er einmal ein begeisterter Gärtner sein würde. Weder kommt er vom Land, noch hat seine Familie einen Garten. Jens wächst mitten in der Großstadt auf - in Neukölln, an der Grenze zu Treptow. Sein Vater ist Polizeibeamter, seine Mutter Notarangestellte, später Schreibkraft im öffentlichen Dienst. Die Familie wohnt in einem Mietshaus. Jens wird in die Weser-Grundschule eingeschult, ein Jahr später ziehen die Schüler in die neu erbaute Hans-Fallada-Schule um. Nach der 5. Klasse wechselt Jens auf das Gymnasium. Die Ernst-Abbe-Schule besucht er bis zur 9. Klasse, es folgt ein weiteres Jahr an der Helmholtz-Gesamtschule mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften. Nach der 10. Klasse verlässt er die Oberstufe ohne große Ideen für seinen künftigen Beruf.  Seine eigentliche Liebe gilt der Geologie und Paläontologie. Doch bei fehlendem Abitur stehen die Chancen schlecht für eine vernünftige Ausbildung. Also informiert er sich bei der Berufsberatung, die ihm den Gärtnerberuf nahelegt und ihn als eine „kreative Arbeit in frischer Luft“ in bunten Farben schildert. Man weist ihn auf die Vielfalt der Arbeitsbereiche im Landschaftsbau hin: Der Gärtner arbeitet dort nicht nur mit Erde und Pflanzen, sondern kann auch Materialien wie Stein, Holz und Metall  für verschiedenste Konstruktionen einsetzen, Wege bauen, Mauern und Brücken errichten. Das findet Jens interessant und entschließt sich für die Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau. „Sie haben damals den Beruf schöngeredet. Landschaftsbau heute kann oftmals heißen Parkplätze vor Supermärkten errichten zu müssen. Jetzt erst, nach dreißig Jahren im Beruf, kann ich endlich auch dessen attraktive Seite auskosten“, stellt Jens klar.


1985, im Jahr der Bundesgartenschau in Berlin, tritt Jens seine Lehrstelle beim Gartenbauamt Neukölln an. Mit ihm beginnen fünf weitere Auszubildende ihre Lehrzeit, denen ein Gärtner und ein Meister vorgesetzt sind. Ihr Arbeitsbereich ist dem Stützpunkt Neuköllnische Allee zugeordnet; von dort aus werden kleine Baustellen im gesamten Bezirk betreut. Jens gefällt die Arbeit unter den gleichgesinnten jungen Leuten sehr. Zur Gruppe  gehört auch eine Frau - damals noch eine Seltenheit, die übrigens heute als Meisterin die Baumkolonne leitet. Nach der Gesellenprüfung werden alle Auszubildenden des Jahrgangs 1985 im Gartenbauamt angestellt. Jens allerdings muss die Prüfung wiederholen und wird mit dem gesamten 1986er-Jahrgang  ebenfalls übernommen. Er bezeichnet das als großes Glück, denn in der darauf folgenden Zeit müssen sich die frisch gebackenen Gesellen woanders neue Stellen suchen. Erst in der jüngsten Zeit ist es wieder möglich nach der Ausbildung auch im Grünflächenamt weiterzukommen.

1989 tritt Jens seine Stelle im Stützpunkt Severingstraße an. Zu dieser Zeit hat das Grünflächenamt etwa 15 Stützpunkte; heute gibt es, neben dem Wirtschaftshof, nur noch drei: Schulenburgpark, Leonberger Ring I und II. „Plötzlich war das Gärtnerleben nicht mehr so schön, denn ich war unerfahren und mit Abstand der Jüngste“, berichtet Jens. Die Kollegen sind nicht sehr zartfühlend und zeigen Jens bei jeder Gelegenheit, dass sie als Ältere alles besser wissen. Sie lassen ihn schwere, manchmal sogar unsinnige Arbeiten machen; zum Beispiel Tiefenregiolen entlang der Johannisthaler Chaussee, für die er bei brütender Hitze einen 300 Meter langen Streifen drei Spaten tief umgraben muss. Jens beißt die Zähne zusammen, flucht in Gedanken und führt die Arbeit aus. Dabei kommen ihm Zweifel, ob er wirklich den richtigen Job gewählt hat. Vielleicht sollte er ihn wechseln; eine Umschulung zum Krankenpfleger könnte er sich vorstellen. Doch in dieser Zeit werden Landschaftsgärtner gesucht, es gibt gar keinen Grund für eine (staatlich finanzierte) Umschulung. Außerdem muss Jens Geld verdienen, weil er sich für seine damalige Lebenspartnerin und ihr Kind verantwortlich fühlt. „Ich kann übrigens kein Blut sehen“, meint Jens und beendet damit das Thema. Doch er kann zu einem anderen Stützpunkt in den Neuköllner Norden wechseln, wo die Arbeitsatmosphäre leider nicht besser ist. Die Hierarchien sind steil, es gibt keinen Informationsaustausch und die Älteren benehmen sich, als würde er ihnen eines Tages den Platz wegnehmen. Er tröstet sich mit dem Gedanken, dass er in einem anspruchsvollen Neuköllner Grünflächenamt beschäftigt ist, das interessante Projekte realisiert, die auch einen Entfaltungsspielraum zulassen.

In den 1990er-Jahren werden in der Verwaltung Stellen abgebaut, auch die Meisterstellen reduziert. Die Verantwortung wird auf alle Mitarbeiter verteilt, so dass flachere Hierarchien entstehen. 1996 umfasst Jens’ Arbeitsbereich die Lessinghöhe, die Thomashöhe sowie den Körnerpark mit seinen umgebenden Grünflächen, der zu dieser Zeit noch nicht so privilegiert ist wie heute.  Seinen damaligen Meister, der die Arbeiten auf die Mitarbeiter verteilt und dabei keine Diskussion duldet, sieht er kritisch. Auch manche Aufgaben kann er aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehen, wie das herbstliche Laubfegen und anschließende Abtransportieren oder das Umgraben von Grünanlagen. Dahinter steht ein bestimmter Reinlichkeitsgedanke, der heute überholt ist. Das Laub soll sich auf dem Boden zersetzen, Humus bilden und die Feuchtigkeit halten.

1998 dann die entscheidende Veränderung: Sie kommt so schnell, dass Jens sich kaum darauf vorbereiten kann. Der leitende Gärtner des Bereichs zwischen Hermannstraße und Teltowkanal  geht in den Ruhestand, und Jens soll seine Stelle übernehmen. Die Übergangszeit beträgt zwei Wochen, in denen Jens auch noch krank wird. Jens aber springt ins tiefe Wasser. „Ich kannte den Bereich nicht, machte viele fachliche Fehler und musste die Menschenführung erst lernen“, gesteht er. Aber Jens nimmt seine neue Rolle an und kämpft sich durch. Er hat sechs Mitarbeiter und fünf bis sechs ABM-Kräfte anzuleiten und einzusetzen. Er muss die Arbeitsabläufe vorgeben und koordinieren. Jetzt erst wird ihm klar, dass er sich weiterbilden muss. Er wälzt die entsprechenden Fachbücher, fragt Kollegen und bemüht sich genau hinzusehen. Er lernt, zu welchem Zeitpunkt welche Arbeit am besten zu verrichten ist, wie man Rasen richtig wässert und was man tun muss, damit zum Beispiel der Rhododendron gut zur Geltung kommen kann.

Nach einer weiteren Umstrukturierungsphase im Jahr 2007, in der das Grünflächenamt 50 Mitarbeiter in den bezirklichen Stellenpool entlässt, erhält Jens den Körnerpark als einzigen Arbeitsbereich. Der Körnerpark ist ein Geschenk des Kiesgrubenbesitzers Franz Körner (1838-1911), der 1916 nach Plänen des Rixdorfer Gartenbaudirektors Hans Richard Küllenberg fertiggestellt wurde. Die Orangerie stammt von Stadtbaurat Reinhold Kiehl. Die gesamte Anlage steht seit 2004 unter Denkmalschutz. Nach einer aufwendigen Sanierung des Parks und der Orangerie funktionieren ebenfalls wieder die Kaskaden mit der Brunnenanlage. Für die herausragenden Leistungen bei der Sanierung und den sehr guten Erhaltungszustand wurde dem Neuköllner Naturschutz- und Grünflächenamt im Jahr 2003 der Gustav-Meyer-Preis verliehen.

Mit der anerkannten Einzigartigkeit des Körnerparks wachsen Bekanntheitsgrad, Besucherzahlen und in der Folge die Pflegeintensität. Jens studiert die Gartengeschichte des Parks und das Parkpflegewerk aus den 1980er-Jahren, um daraus Leitlinien für die Parkpflege zu entwickeln. Dem Gärtner sollen gewisse Freiheiten bleiben. Jens probiert vieles aus, was nicht immer auch gelingt. Er legt zum Beispiel Wert darauf, dass zu jeder Jahreszeit Blumen in den Staudenrabatten blühen, und dass auch die Farben aufeinander abgestimmt sind.  In jedem Jahr gibt es kleine Veränderungen. Zum Beispiel blühten früher alle Rhododendren gleichzeitig aber kurz, in diesem Jahr aber stehen sie 8 Wochen lang in voller Blüte. Mit seiner Chefin entwirft er Pläne, zum Beispiel welche Stauden im Blumengarten gepflanzt werden sollen. Doch nicht immer liefert die Baumschule genau das, was bestellt wird, so dass Jens improvisieren muss. Das Ergebnis ist anders als der Plan, aber mindestens genau so gut.

Die Bäume, von denen viele noch aus der Entstehungszeit stammen, verdienen eine besondere Aufmerksamkeit. Auf manchen Postkarten aus den 1930er-Jahren kann man zum Beispiel Platanen erkennen, die noch niedrig sind und radikal beschnitten. Heute sind es herrliche, ausgewachsene Bäume. Es ist ein Glück und auch erstaunlich, dass die alten Bäume die Notzeit nach dem Zweiten Weltkrieg überstanden haben. Im Körnerpark wurde nichts abgeholzt.

Bestimmte Bereiche bedürfen besonders intensiver Pflege, wie die Kübelpflanzen, die auf der Terrasse und ihrer Brüstung stehen und ein wichtiges Gestaltungselement sind. Es gibt keinen weiteren Berliner Bezirk, der noch Kübelpflanzen ausstellt. Man findet einige im Schloss Charlottenburg oder in Potsdam, welche aber zum Preußischen Kulturbesitz gehören. Die Kübelpflanzen im Körnerpark müssen per Hand drei Mal wöchentlich gewässert werden; das dauert jeweils etwa fünf Stunden. Diese Arbeitszeit muss im Sommer zur Verfügung stehen. Ein offizieller Besuch der Chefs der Berliner Gartendenkmalpflege vor wenigen Jahren hat gezeigt, dass man angesichts der vielen historischen Pflanzen und der sorgfältigen Pflege mit dem Zustand des Parks sehr zufrieden ist.

Nach einer erneuten internen Umorganisation im Jahr 2010 erhält Jens auch den Schulenburgpark in seinen Verantwortungsbereich. Das Personal wird neu aufgestellt; Jens hat jetzt sechs Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Der Körnerpark umfasst 2,4, der Schulenburgpark ca. 6 Hektar. Beide Parks brauchen gleichermaßen viel Pflege. Bei personellen Engpässen kann er von Kollegen unterstützt werden. Im Sommer ist der Arbeitsumfang naturgemäß größer als im Winter. Es ist Jens’ Aufgabe, die Arbeit über das Jahr so zu verteilen, dass alle Mitarbeiter, die winters wie sommers täglich 8 Stunden Dienst haben, immer beschäftigt sind und dass die Pflanzen ebenfalls zu ihrem Recht kommen. Umständliche Überstundenanträge soll es nicht geben; es handelt sich eben um den Öffentlichen Dienst und nicht um einen Betrieb der Privatwirtschaft, der Saisonkräfte engagieren kann. Zur Erleichterung im Sommer gibt es im Körnerpark eine automatische Beregnungsanlage, so dass nur die Bäume und die Kübel auf der Terrasse von Hand bewässert werden müssen.

Dass der Körnerpark immer mehr Menschen anzieht, bereitet Jens nicht nur Freude. Mit seiner relativ kleinen Fläche kann der Park nicht unbegrenzt genutzt werden. Radfahren und das Mitführen von Hunden sind verboten. Die Rasenflächen, insbesondere die mittlere, sollen nicht betreten werden. Jens drückt ein Auge zu, wenn die Besucher ruhig auf dem Rasen liegen. Aber beim Fußballspielen oder dem Anblick von Hunden hört das Verständnis auf. Dann spricht er schon mal die Leute an und ermahnt sie. Da er das Hausrecht hat, könnte er Uneinsichtige vom Platz verweisen. So weit ist es noch nicht gekommen, denn auch Jens will die vorherrschend entspannte Atmosphäre nicht beeinträchtigen. Manchmal wünscht er sich, das Ordnungsamt würde öfter eingreifen. Im Vergleich zu früher verbringen heute viel mehr Menschen ihre Freizeit in den Parks. Könnten die benachbarten Grünanlagen wie die Lessing- und die Thomashöhe genauso gut gepflegt werden, würden mehr Menschen auch dort ihre Freizeit verbringen, und der Körnerpark wäre nicht so überlastet. Jens findet es in Ordnung, dass auch  giftige Pflanzen im Park wachsen, das kommt überall in der Natur vor. Er wehrt sich gegen warnende Hinweisschilder, weil man nie alle giftigen Pflanzen erfassen kann. Besser sei es, mit Kindern in der Schule das Thema zu besprechen.

Ein großes Problem ist der Vandalismus. Wenn Pflanzen zertreten, Kübel von der Mauer gestoßen und die Rasenflächen mutwillig beschädigt werden, könnte Jens vor Wut heulen.  Manchmal werden die Parkbänke zweckentfremdet und die Wände mit Graffiti besprüht. Oder die Besucher werfen Flaschen in die Kaskaden, so dass sich die dort spielenden Kinder durch die Glasscherben die Füße verletzen. Jeder Schaden wird so schnell wie möglich beseitigt. Nur die Entfernung der Graffitis ist kompliziert, weil nicht alle Wände dem Bezirk, sondern einige auch dem Senat gehören, der sich an der Reinigung beteiligen soll.

Trotz dieser Probleme ist Jens fast wunschlos glücklich Gärtner des Körnerparks zu sein. Das Schönste beim Garten- und Landschaftsbau ist für ihn die Beschäftigung mit den Pflanzen, bilanziert er. Aber ohne die im Körnerpark gemachten Erfahrungen wäre er nicht zu dieser Einsicht gekommen. Ein Gärtner lernt nie aus, wenn er die Pflanze als Individuum begreift, deren Charakter und innewohnenden Eigenschaften er hervorlocken will. Wo sie am besten gedeiht und zur Geltung kommt, wie sie im Wandel der Jahreszeiten zu behandeln ist, weiß er erst nach Jahren, wenn er sie geduldig und liebevoll behandelt und beobachtet hat. Jetzt ist Jens am Ziel und kann seine Arbeit genießen. Nur ab und zu eine kleine Baustelle würde ihm noch gefallen, um nach Fossilien schauen zu können. Seit Franz Körner weiß man, dass der Boden im Körnerpark sehr ergiebig ist. Seine Liebe zur Paläontologie hat Jens nämlich nicht verloren.





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