Jens Karsten – Gärtner des Körnerparks
Der Körnerpark hat
Geburtstag und wird hundert Jahre alt. Deshalb richtet ihm das Kulturamt in
diesem Sommer ein Fest aus, das hundert Tage umfasst. Es hat einen wunderbaren
Kalender herausgegeben, der das Festprogramm enthält, aber auch
Hintergrundinformationen, Historie, Gedichte und Geschichten. Alle Kiezbewohner
sind sich einig: der Körnerpark ist einzigartig, ein Juwel. Und er ist, trotz
intensiver Nutzung, wunderbar gepflegt. Nichts liegt näher als den Gärtner des
Parks, Jens Karsten, in das Erzählcafé einzuladen.
Weil es im Rahmen des
Jubiläums ein fest verankerter Programmpunkt ist, bitten wir in den Kreativraum
neben der Galerie im Körnerpark. Doch dort arbeitet gerade die Künstlerin
Almyra Weigel, um ihren Beitrag zum Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“
vorzubereiten. So tagen wir im Freien. Das passt ja auch zu unserem Gast. Es
ist ein ungewöhnlich heißer Tag. Dennoch finden sich genug Besucher für eine
interessante Runde ein.
Nichts aus der Kindheit von Jens Karsten deutet darauf hin,
dass er einmal ein begeisterter Gärtner sein würde. Weder kommt er vom Land,
noch hat seine Familie einen Garten. Jens wächst mitten in der Großstadt auf -
in Neukölln, an der Grenze zu Treptow. Sein Vater ist Polizeibeamter, seine
Mutter Notarangestellte, später Schreibkraft im öffentlichen Dienst. Die
Familie wohnt in einem Mietshaus. Jens wird in die Weser-Grundschule
eingeschult, ein Jahr später ziehen die Schüler in die neu erbaute Hans-Fallada-Schule
um. Nach der 5. Klasse wechselt Jens auf das Gymnasium. Die Ernst-Abbe-Schule
besucht er bis zur 9. Klasse, es folgt ein weiteres Jahr an der
Helmholtz-Gesamtschule mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften. Nach der 10.
Klasse verlässt er die Oberstufe ohne große Ideen für seinen künftigen Beruf. Seine eigentliche Liebe gilt der Geologie und
Paläontologie. Doch bei fehlendem Abitur stehen die Chancen schlecht für eine
vernünftige Ausbildung. Also informiert er sich bei der Berufsberatung, die ihm
den Gärtnerberuf nahelegt und ihn als eine „kreative Arbeit in frischer Luft“
in bunten Farben schildert. Man weist ihn auf die Vielfalt der Arbeitsbereiche
im Landschaftsbau hin: Der Gärtner arbeitet dort nicht nur mit Erde und
Pflanzen, sondern kann auch Materialien wie Stein, Holz und Metall für verschiedenste Konstruktionen einsetzen,
Wege bauen, Mauern und Brücken errichten. Das findet Jens interessant und
entschließt sich für die Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau. „Sie haben
damals den Beruf schöngeredet. Landschaftsbau heute kann oftmals heißen
Parkplätze vor Supermärkten errichten zu müssen. Jetzt erst, nach dreißig
Jahren im Beruf, kann ich endlich auch dessen attraktive Seite auskosten“,
stellt Jens klar.
1985, im Jahr der Bundesgartenschau in Berlin, tritt Jens seine
Lehrstelle beim Gartenbauamt Neukölln an. Mit ihm beginnen fünf weitere
Auszubildende ihre Lehrzeit, denen ein Gärtner und ein Meister vorgesetzt sind.
Ihr Arbeitsbereich ist dem Stützpunkt Neuköllnische Allee zugeordnet; von dort
aus werden kleine Baustellen im gesamten Bezirk betreut. Jens gefällt die
Arbeit unter den gleichgesinnten jungen Leuten sehr. Zur Gruppe gehört auch eine Frau - damals noch eine
Seltenheit, die übrigens heute als Meisterin die Baumkolonne leitet. Nach der
Gesellenprüfung werden alle Auszubildenden des Jahrgangs 1985 im Gartenbauamt
angestellt. Jens allerdings muss die Prüfung wiederholen und wird mit dem
gesamten 1986er-Jahrgang ebenfalls
übernommen. Er bezeichnet das als großes Glück, denn in der darauf folgenden
Zeit müssen sich die frisch gebackenen Gesellen woanders neue Stellen suchen.
Erst in der jüngsten Zeit ist es wieder möglich nach der Ausbildung auch im
Grünflächenamt weiterzukommen.
1989 tritt Jens seine Stelle im Stützpunkt Severingstraße
an. Zu dieser Zeit hat das Grünflächenamt etwa 15 Stützpunkte; heute gibt es,
neben dem Wirtschaftshof, nur noch drei: Schulenburgpark, Leonberger Ring I und
II. „Plötzlich war das Gärtnerleben nicht mehr so schön, denn ich war unerfahren
und mit Abstand der Jüngste“, berichtet Jens. Die Kollegen sind nicht sehr
zartfühlend und zeigen Jens bei jeder Gelegenheit, dass sie als Ältere alles
besser wissen. Sie lassen ihn schwere, manchmal sogar unsinnige Arbeiten
machen; zum Beispiel Tiefenregiolen entlang der Johannisthaler Chaussee, für
die er bei brütender Hitze einen 300 Meter langen Streifen drei Spaten tief
umgraben muss. Jens beißt die Zähne zusammen, flucht in Gedanken und führt die
Arbeit aus. Dabei kommen ihm Zweifel, ob er wirklich den richtigen Job gewählt
hat. Vielleicht sollte er ihn wechseln; eine Umschulung zum Krankenpfleger
könnte er sich vorstellen. Doch in dieser Zeit werden Landschaftsgärtner
gesucht, es gibt gar keinen Grund für eine (staatlich finanzierte) Umschulung.
Außerdem muss Jens Geld verdienen, weil er sich für seine damalige
Lebenspartnerin und ihr Kind verantwortlich fühlt. „Ich kann übrigens kein Blut
sehen“, meint Jens und beendet damit das Thema. Doch er kann zu einem anderen
Stützpunkt in den Neuköllner Norden wechseln, wo die Arbeitsatmosphäre leider
nicht besser ist. Die Hierarchien sind steil, es gibt keinen
Informationsaustausch und die Älteren benehmen sich, als würde er ihnen eines
Tages den Platz wegnehmen. Er tröstet sich mit dem Gedanken, dass er in einem anspruchsvollen
Neuköllner Grünflächenamt beschäftigt ist, das interessante Projekte
realisiert, die auch einen Entfaltungsspielraum zulassen.
In den 1990er-Jahren werden in der Verwaltung Stellen
abgebaut, auch die Meisterstellen reduziert. Die Verantwortung wird auf alle
Mitarbeiter verteilt, so dass flachere Hierarchien entstehen. 1996 umfasst
Jens’ Arbeitsbereich die Lessinghöhe, die Thomashöhe sowie den Körnerpark mit
seinen umgebenden Grünflächen, der zu dieser Zeit noch nicht so privilegiert
ist wie heute. Seinen damaligen Meister,
der die Arbeiten auf die Mitarbeiter verteilt und dabei keine Diskussion
duldet, sieht er kritisch. Auch manche Aufgaben kann er aus heutiger Sicht
nicht mehr nachvollziehen, wie das herbstliche Laubfegen und anschließende
Abtransportieren oder das Umgraben von Grünanlagen. Dahinter steht ein bestimmter
Reinlichkeitsgedanke, der heute überholt ist. Das Laub soll sich auf dem Boden
zersetzen, Humus bilden und die Feuchtigkeit halten.
1998 dann die entscheidende
Veränderung: Sie kommt so schnell, dass Jens sich kaum darauf vorbereiten kann.
Der leitende Gärtner des Bereichs zwischen Hermannstraße und Teltowkanal geht in den Ruhestand, und Jens soll seine
Stelle übernehmen. Die Übergangszeit beträgt zwei Wochen, in denen Jens auch
noch krank wird. Jens aber springt ins tiefe Wasser. „Ich kannte den Bereich
nicht, machte viele fachliche Fehler und musste die Menschenführung erst
lernen“, gesteht er. Aber Jens nimmt seine neue Rolle an und kämpft sich durch.
Er hat sechs Mitarbeiter und fünf bis sechs ABM-Kräfte anzuleiten und
einzusetzen. Er muss die Arbeitsabläufe vorgeben und koordinieren. Jetzt erst
wird ihm klar, dass er sich weiterbilden muss. Er wälzt die entsprechenden Fachbücher,
fragt Kollegen und bemüht sich genau hinzusehen. Er lernt, zu welchem Zeitpunkt
welche Arbeit am besten zu verrichten ist, wie man Rasen richtig wässert und
was man tun muss, damit zum Beispiel der Rhododendron gut zur Geltung kommen
kann.
Nach einer weiteren Umstrukturierungsphase im Jahr 2007, in
der das Grünflächenamt 50 Mitarbeiter in den bezirklichen Stellenpool entlässt,
erhält Jens den Körnerpark als einzigen Arbeitsbereich. Der Körnerpark ist ein
Geschenk des Kiesgrubenbesitzers Franz Körner (1838-1911), der 1916 nach Plänen
des Rixdorfer Gartenbaudirektors Hans Richard Küllenberg fertiggestellt wurde.
Die Orangerie stammt von Stadtbaurat Reinhold Kiehl. Die gesamte Anlage steht
seit 2004 unter Denkmalschutz. Nach einer aufwendigen Sanierung des Parks und
der Orangerie funktionieren ebenfalls wieder die Kaskaden mit der Brunnenanlage.
Für die herausragenden Leistungen bei der Sanierung und den sehr guten
Erhaltungszustand wurde dem Neuköllner Naturschutz- und Grünflächenamt im Jahr
2003 der Gustav-Meyer-Preis verliehen.
Mit der anerkannten Einzigartigkeit des Körnerparks wachsen
Bekanntheitsgrad, Besucherzahlen und in der Folge die Pflegeintensität. Jens
studiert die Gartengeschichte des Parks und das Parkpflegewerk aus den
1980er-Jahren, um daraus Leitlinien für die Parkpflege zu entwickeln. Dem Gärtner
sollen gewisse Freiheiten bleiben. Jens probiert vieles aus, was nicht immer
auch gelingt. Er legt zum Beispiel Wert darauf, dass zu jeder Jahreszeit Blumen
in den Staudenrabatten blühen, und dass auch die Farben aufeinander abgestimmt
sind. In jedem Jahr gibt es kleine Veränderungen.
Zum Beispiel blühten früher alle Rhododendren gleichzeitig aber kurz, in diesem
Jahr aber stehen sie 8 Wochen lang in voller Blüte. Mit seiner Chefin entwirft
er Pläne, zum Beispiel welche Stauden im Blumengarten gepflanzt werden sollen. Doch
nicht immer liefert die Baumschule genau das, was bestellt wird, so dass Jens improvisieren
muss. Das Ergebnis ist anders als der Plan, aber mindestens genau so gut.
Die Bäume, von denen viele noch aus der Entstehungszeit
stammen, verdienen eine besondere Aufmerksamkeit. Auf manchen Postkarten aus
den 1930er-Jahren kann man zum Beispiel Platanen erkennen, die noch niedrig sind
und radikal beschnitten. Heute sind es herrliche, ausgewachsene Bäume. Es ist
ein Glück und auch erstaunlich, dass die alten Bäume die Notzeit nach dem
Zweiten Weltkrieg überstanden haben. Im Körnerpark wurde nichts abgeholzt.
Bestimmte Bereiche bedürfen besonders intensiver Pflege, wie
die Kübelpflanzen, die auf der Terrasse und ihrer Brüstung stehen und ein
wichtiges Gestaltungselement sind. Es gibt keinen weiteren Berliner Bezirk, der
noch Kübelpflanzen ausstellt. Man findet einige im Schloss Charlottenburg oder in
Potsdam, welche aber zum Preußischen Kulturbesitz gehören. Die Kübelpflanzen im
Körnerpark müssen per Hand drei Mal wöchentlich gewässert werden; das dauert
jeweils etwa fünf Stunden. Diese Arbeitszeit muss im Sommer zur Verfügung
stehen. Ein offizieller Besuch der Chefs der Berliner Gartendenkmalpflege vor
wenigen Jahren hat gezeigt, dass man angesichts der vielen historischen
Pflanzen und der sorgfältigen Pflege mit dem Zustand des Parks sehr zufrieden
ist.
Nach einer erneuten internen Umorganisation im Jahr 2010
erhält Jens auch den Schulenburgpark in seinen Verantwortungsbereich. Das
Personal wird neu aufgestellt; Jens hat jetzt sechs Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen. Der Körnerpark umfasst 2,4, der Schulenburgpark ca. 6 Hektar.
Beide Parks brauchen gleichermaßen viel Pflege. Bei personellen Engpässen kann
er von Kollegen unterstützt werden. Im Sommer ist der Arbeitsumfang naturgemäß
größer als im Winter. Es ist Jens’ Aufgabe, die Arbeit über das Jahr so zu
verteilen, dass alle Mitarbeiter, die winters wie sommers täglich 8 Stunden
Dienst haben, immer beschäftigt sind und dass die Pflanzen ebenfalls zu ihrem
Recht kommen. Umständliche Überstundenanträge soll es nicht geben; es handelt
sich eben um den Öffentlichen Dienst und nicht um einen Betrieb der
Privatwirtschaft, der Saisonkräfte engagieren kann. Zur Erleichterung im Sommer
gibt es im Körnerpark eine automatische Beregnungsanlage, so dass nur die Bäume
und die Kübel auf der Terrasse von Hand bewässert werden müssen.
Dass der Körnerpark immer mehr Menschen anzieht, bereitet
Jens nicht nur Freude. Mit seiner relativ kleinen Fläche kann der Park nicht
unbegrenzt genutzt werden. Radfahren und das Mitführen von Hunden sind
verboten. Die Rasenflächen, insbesondere die mittlere, sollen nicht betreten
werden. Jens drückt ein Auge zu, wenn die Besucher ruhig auf dem Rasen liegen.
Aber beim Fußballspielen oder dem Anblick von Hunden hört das Verständnis auf.
Dann spricht er schon mal die Leute an und ermahnt sie. Da er das Hausrecht
hat, könnte er Uneinsichtige vom Platz verweisen. So weit ist es noch nicht
gekommen, denn auch Jens will die vorherrschend entspannte Atmosphäre nicht
beeinträchtigen. Manchmal wünscht er sich, das Ordnungsamt würde öfter
eingreifen. Im Vergleich zu früher verbringen heute viel mehr Menschen ihre
Freizeit in den Parks. Könnten die benachbarten Grünanlagen wie die Lessing-
und die Thomashöhe genauso gut gepflegt werden, würden mehr Menschen auch dort
ihre Freizeit verbringen, und der Körnerpark wäre nicht so überlastet. Jens
findet es in Ordnung, dass auch giftige
Pflanzen im Park wachsen, das kommt überall in der Natur vor. Er wehrt sich
gegen warnende Hinweisschilder, weil man nie alle giftigen Pflanzen erfassen
kann. Besser sei es, mit Kindern in der Schule das Thema zu besprechen.
Ein großes Problem ist der Vandalismus. Wenn Pflanzen
zertreten, Kübel von der Mauer gestoßen und die Rasenflächen mutwillig
beschädigt werden, könnte Jens vor Wut heulen.
Manchmal werden die Parkbänke zweckentfremdet und die Wände mit Graffiti
besprüht. Oder die Besucher werfen Flaschen in die Kaskaden, so dass sich die
dort spielenden Kinder durch die Glasscherben die Füße verletzen. Jeder Schaden
wird so schnell wie möglich beseitigt. Nur die Entfernung der Graffitis ist
kompliziert, weil nicht alle Wände dem Bezirk, sondern einige auch dem Senat
gehören, der sich an der Reinigung beteiligen soll.
Trotz dieser Probleme ist Jens fast wunschlos glücklich Gärtner
des Körnerparks zu sein. Das Schönste beim Garten- und Landschaftsbau ist für
ihn die Beschäftigung mit den Pflanzen, bilanziert er. Aber ohne die im
Körnerpark gemachten Erfahrungen wäre er nicht zu dieser Einsicht gekommen. Ein
Gärtner lernt nie aus, wenn er die Pflanze als Individuum begreift, deren
Charakter und innewohnenden Eigenschaften er hervorlocken will. Wo sie am
besten gedeiht und zur Geltung kommt, wie sie im Wandel der Jahreszeiten zu
behandeln ist, weiß er erst nach Jahren, wenn er sie geduldig und liebevoll
behandelt und beobachtet hat. Jetzt ist Jens am Ziel und kann seine Arbeit
genießen. Nur ab und zu eine kleine Baustelle würde ihm noch gefallen, um nach
Fossilien schauen zu können. Seit Franz Körner weiß man, dass der Boden im
Körnerpark sehr ergiebig ist. Seine Liebe zur Paläontologie hat Jens nämlich nicht
verloren.
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