Donnerstag, 21. Januar 2016

7. Erzählcafé im Körnerkiez


Donnerstag, 21. Januar 2016

Vor der Tür des Leuchtturms werde ich schon erwartet. Es ist ein Freund von Barbara Hübner, die für heute eingeladen ist. Er soll mittels Beamer Bilder an die Wand werfen. Denn Barbara ist Künstlerin und möchte nicht nur über ihre Arbeit sprechen, sondern sie auch zeigen. Den Apparat müssen wir erst im QM-Büro abholen. Er begleitet mich. Dann hilft er mir beim Tragen der Stühle. Wie angenehm. Barbara erscheint mit ihrem Computer, und die beiden bauen die Geräte auf. Ich kümmere mich ums Tischdecken und den Kaffee. Unser Raum füllt sich nach und nach...

Barbara beim Erzählcafé, 2016



Barbara Hübner - Schönheit und Harmonie


Der 16. November 1981 ist ein wichtiges Datum im Leben von Barbara Hübner. An diesem Tag - vor 34 Jahren - landet sie mit dem Flugzeug aus London in Berlin (West). Seitdem lebt sie in dieser Stadt und ist mit diesem Schritt, in Berlin ein neues Leben aufzubauen, noch immer glücklich. 
Barbara und ihre kleine Schwester, 1963
Im Garten 1970

Barbara Hübner stammt aus dem schlesischen Bergbaustädtchen Ruda Slaska in Polen, wo sie 1958 geboren wurde. Nach ihrem Abitur und einem begonnenem Anglistikstudium in Kattowitz ging sie 1981 nach London. Im katholischen und sozialistischen Polen, wo es für sie wenig Entfaltungsmöglichkeiten gab, fühlte sie sich nicht wohl. In London perfektionierte sie ihr Englisch und nahm Zeichenunterricht. In England aber sah sie keine Zukunft für sich, so wenig wie in ihrer alten Heimat. Berlin (West) sollte es sein, wo sie sich ein freies Leben erhoffte, um einen neuen Anfang zu machen.

Die Ankunft ist ein Schock für sie. Dunkelgraue Wolken hängen tief am Himmel, es ist kalt, der Nieselregen lässt den schmutzigen Schnee am Straßenrand zu Eis gefrieren. In London war die Luft mild, die Sonne schien und die Luft duftete nach Kräutern und Laub. Der strenge Winter in Berlin ist nicht die einzige Herausforderung. Ein Freund holt sie vom Flughafen ab und fährt sie zu einer Wohnung in der Karl-Marx-Straße 166. Sie staunt über das schwere Eingangsportal und dass es ab 20 Uhr abgeschlossen ist. Klingelknöpfe gibt es aber nicht. Wer einen Bekannten besuchen möchte, muss ihn anrufen,  ihn bitten herunterzukommen und die Tür zu öffnen. Das ist überall so in den Berliner Altbaugebieten, erklärt ihr der Freund. In der Wohnung, die ihre erste Unterkunft wird, lebt ein Maler in einem der riesigen Zimmer, die mit einem Kachelofen beheizt werden. Ihr Blick fällt auf eine Leinwand, auf der sie eine Leiche auf einem Metzgertisch erkennen kann. Keine guten Eindrücke für jemand, der in einer neuen Welt ankommen möchte. 

Angesichts der ungünstigen Voraussetzungen ist es für Barbara nicht leicht sich zurechtzufinden: sie hat kaum Geld, kein abgeschlossenes Studium, keine Deutschkenntnisse. Aber sie weiß, was sie will: sich der Kunst widmen. Schon als Kind hat sie gern gezeichnet und in London weiter geübt. Sie beginnt zu zeichnen, zu malen und begegnet einem Mann, der sie berät und ihr Aufgaben stellt. Er ist Künstler und wird später ihr Ehemann. Eisern bleibt sie bei der Sache und bereitet im Lauf von zwei Jahres eine Mappe vor, mit der sie sich an der Hochschule der Künste bewirbt. Sie wird zur Prüfung eingeladen, besteht sie und beginnt 1983 mit dem Kunststudium. Gleichzeitig versucht sie Deutsch zu lernen. Das ist besonders schwierig, da die meisten neuen Freunde, die sie trifft, sehr gut Englisch sprechen. Man kann gut ohne die deutsche Sprache zu beherrschen in Berlin durchkommen. Die außergewöhnliche Situation in Berlin (West) – im Schatten  der Mauer - begeistert sie. Internationale Kunst und Kultur, bei der viel experimentiert wird, spielen eine große Rolle und bewirken eine offene und freie Atmosphäre.

Neben dem Studium der Malerei, bei dem die Studierenden gemeinsam viel Neues ausprobieren, beschäftigt sich Barbara weiter mit der englischen und deutschen Sprache, bekommt zwei Kinder und entdeckt für sich noch eine ganz andere Form der Kunst: Ikebana, die Kunst des Blumensteckens. 1985 findet in Berlin die Bundesgartenschau statt; im Britzer Garten ist eine Ikebana-Schau zu sehen. Eine Freundin besuchte dort einen Kurs und berichtete ihr davon. Das will sie auch! Die Verbindung zur Natur, zu Blumen und Pflanzen, hat sie in ihrer Kindheit in Schlesien, wo die Eltern einen Garten hatten - und auch in England - erlebt. Barbara findet in Berlin eine Ikebana-Lehrerin, lernt bei ihr fünf Jahre lang und erreicht zeitgleich mit dem erfolgreichen Abschluss des Kunststudiums - und dem letzten Jahr als Meisterschülerin - die 1. Stufe als Ikebana-Lehrerin.

Bis 1990 hat Barbara viel erreicht, zwei Studien abgeschlossen, Deutsch gelernt, zwei Kinder bekommen. Sie fühlt sich völlig frei. Was nun?

Freunde bieten ihr einen Raum in ihrem Kindertheater an, wo sie einmal wöchentlich malen kann. In dieser Zeit kümmert sich eine Babysitterin um die Kinder. Parallel vertieft sie sich in die japanische Philosophie und setzt sich mit der Zen-Meditation auseinander, die sie auch praktisch ausübt. Die Grundlagen für Ikebana, die Geisteshaltung, sind im Buddhismus zu suchen, aber auch im viel älteren Shintoismus. Barbara findet, dass der Film „Kirschblüten und rote Bohnen“ sehr gelungen zeigt, wie der Shintoismus zu verstehen ist, indem er auf einen lebendigen Kosmos verweist. Alles was existiert hat eine Seele, eine bestimmte Energie. Die Götter (Kami) leben in den Dingen, in den Bäumen, in den Steinen. Vom Äußeren ist auf das Innere zu schließen. Diese Erkenntnis, dass die Natur lebendig ist, fasziniert sie.

Barbaras Kenntnisse über Ikebana und die Zen-Meditation begünstigen sich gegenseitig, Sie taucht immer tiefer in die Thematik ein. Sie baut eine Gruppe auf und bereitet 1996 mit ihr eine Ikebana-Ausstellung mit großen Kompositionen in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche vor, eine zweite Ausstellung folgt. Mit der inzwischen festen Gruppe, ihrer Ikebana-Klasse, arbeitet sie weiter und gestaltet 2001 eine Ausstellung im Britzer Garten. Als neues Element kommt Licht hinzu. Das gemeinsame Schaffen mit den Schülern spielt eine wichtige Rolle, gemeinsam wird die Raumwirkung aller Objekte diskutiert und festgelegt. Zum Aspekt der Gemeinsamkeit gesellen sich der künstlerische und der philosophische Aspekt, alle drei Blickwinkel sind notwendig für Ikebana.

Barbara beim Ausstellungsaufbau, 1997

2001 wird sie Direktorin des Zusammenschlusses aller in Berlin aktiven Sogetsu Ikebana-Lehrer: „Berlin Branch der Sogetsu Ikebana School, Tokyo“ und kuratiert eine große Ausstellung dieser Lehrer in der Tempelhofer Rathaus-Galerie zum Thema Papier und Pappe. In Anlehnung an den Namen der Vereinigung – „Getsu“ bedeutet Mond – entwickelt sie u. a. ein hinterleuchtetes Objekt, das einen Mond aus Papier darstellt, komponiert mit Bambusstäben und Gras. Es gibt in Japan zahlreiche, sehr alte Ikebana-Schulen; die Sogetsu-Schule entstand erst 1927 und ist besonders im Westen beliebt, weil sie gerade Anfängern größere Gestaltungsspielräume gestattet.

Barbara, die ständig Suchende, gibt sich nicht mit Kunst und Ikebana allein zufrieden.
Drei Jahre nach ihrem Studienabschluss hatte sie einen Fahrradunfall, ein Ereignis, das eine neue Wende in ihrem Leben einleitete. Sie war verletzt, die Ärzte wollten sie operieren. Sie lehnte ab und zog einen Homöopathen zu Rate, der sie fragte, was sie im Leben weiterhin vorhabe. Sie antwortete spontan: „Heilen!“ und setzte diesen Vorsatz unmittelbar in die Tat um. Barbara legte 1993 die Heilpraktikerprüfung ab und bildete sich in klassischer Homöopathie an der Clemens-von-Bönninghausen-Akademie in Wolfsburg aus. 1994 gründete sie in Kreuzberg ihre eigene Heilpraxis, die sie bis heute innehat. Sie hält sich fachlich auf dem Laufenden und arbeitet auch als Dozentin an einer Heilpraktikerschule. Und so ist Barbaras Leben – bis auf  Weiteres - sowohl von Kunst und Ikebana als auch von ihrer Heilpraxis bestimmt. Das Mond-Objekt hängt in der Praxis.

Das Mondprojekt, 2004

Barbara gibt weiterhin Ikebana-Kurse, beteiligt sich an vielen Ausstellungen und kümmert sich um ihre Familie.

2001 zieht Barbara nach Neukölln in die Emser Straße; den Lärm in der Einflugschneise des Flughafens Tempelhof erträgt sie. Sie entdeckt Neukölln. Die größte Überraschung ist der Körnerpark. Wie ist es möglich, dass in dieser zum Teil schwierigen Umgebung ein solches Juwel existieren kann! An den tief gelegten Park grenzt eine ehemalige Orangerie, die heute das Kunstamt als Galerie nutzt. Dort einmal ausstellen zu können ist ihr Traum. Sie stellt sich beim Kunstamt vor, wo man sie vertrösten möchte. Doch als sie das Zauberwort „Ikebana“ erwähnt, öffnen sich die Türen, und man ermöglicht ihr im Neuköllner Saalbau, ebenfalls eine kommunale Einrichtung, große Installationen zu zeigen. Es sind von der japanischen Kultur inspirierte, großräumige Kompositionen aus Hölzern, Steinen, Papier und Blüten, die die Naturgeister und die Götter erwecken sollen.

Eine Ausstellung, die 2006 im Botanischen Garten zu sehen ist, hat das Thema: „Wesen des Raumes“. Es ist ein weiträumig angelegtes Projekt, das Barbara konzipiert und in Zusammenarbeit mit den Sogetsu Ikebana-Lehrern ausführt. Die Ausstellung spielt sich sowohl in den Gewächshäusern als auch in bestimmten Arealen des Parks ab. Ihre eigene Installation nennt Barbara „Regenbogenbrücke“ – die Verbindung von einem zum anderen Ufer. Man kann aber auch die geistige Verbindung darunter verstehen. Zwischen Bambusgestellen hängen Drachenstoffbahnen in den Farben des Regenbogens und überspannen eine Länge von 10 Metern. Der Stoff ist leicht und raschelt, wenn sich der Wind regt. 

Regenbogenbrücke im Botanischen Garten, 2006

Von Karen-Kristina und Bernhard Thieß wird Barbara eingeladen, in den Räumen des "Neuköllner Leuchtturms" auszustellen, aber auch Unterricht zu geben. Seit zehn Jahren ist sie dabei und hat bisher sechs Ausstellungen organisiert, an denen sie sich auch selbst beteiligt hat. Anfänger der Ikebana-Kunst müssen erst die strengen Regeln des Ikebana lernen. Zum Beispiel ist darauf zu achten, dass die Pflanzen oder Hölzer drei verschiedene, nach oben zeigende Richtungen einnehmen, um eine Harmonie erzeugen zu können, denn Ikebana ist eine dreidimensionale, auf den Raum bezogene Kunst. 
Barbara vor einem Ihrer Ikebana-Objekte, 2009

2013 erhält sie die Gelegenheit mit ihren Schülern die Ausstellung „Farbe und Form“ in der Kirche auf dem Tempelhofer Feld zu realisieren, in der Papierarbeiten im Kakemono-Stil neben Arrangements von Ikebana-Schülern zu sehen sind. Das Besondere dieses 1927 erbauten Gotteshauses ist ein runder Andachtsraum, der sich wunderbar für Ikebana-Kunstwerke eignet. Sie werden in den Altarnischen – japanisch: Tokonoma -  aufgestellt. Bei der Eröffnung spielt ein Freund auf einer Shakuhachi-Flöte, so dass Musik als weiteres Element den Raum erfüllt. Barbara lässt sich auch von anderen japanischen Traditionen anregen, zum Beispiel dem Furoshiki, das sind Stoffe, die man zum Einpacken benutzt und die in verschiedenen Formen geknotet und gefaltet werden. Solche Stoffe integriert sie in ihre Ikebana-Kunst. Für eine Ausstellung im Steglitzer Wrangelschlösschen wählt sie das Thema „Kirschblüten“, wo sie zartrosa bedruckten und gerafften Stoff einsetzt und diesen mit Sakurazweigen komponiert.

Naturgeister, 2012

Immer wieder wendet sich Barbara dem Malen zu. Sie malt zahlreiche Ölbilder mit Berliner Motiven. Vom wunderbaren Körnerpark ist sie so gefesselt, dass ein ganzer Bilderzyklus über ihn entsteht. Zusammen mit dem Neuköllner Fotografen Bernhard Thieß entwickelt sie die Idee einer gemeinsamen Ausstellung über den Körnerkiez, die im Dezember 2011 gezeigt wird. 

Beim Ikebana-Kongress in Potsdam, 2014

Und sie entdeckt für sich den Tango Argentino. Seit mehreren Jahren widmet sie sich intensiv dem Tanz, macht Aufführungen mit einer kleinen Band und verbindet die Musik mit ihren anderen Aktivitäten. Barbara findet, dass Tango unbedingt zu ihren Leidenschaften gehört. So wie sie beim Tangotanzen mit dem Körper die Kommunikation sucht, setzt sie bei der Arbeit mit den Pflanzen ihre Hände und mit den Bildern ihre Augen ein. Ihr größtes Anliegen ist das Streben nach Schönheit, welches alle ihre Leidenschaften ermöglichen: Beim Tanzen ist es die Eleganz der Bewegung, beim Ikebana die Harmonie im Raum, beim Malen die Vollkommenheit des Ausdrucks, und bei den Menschen sind es die individuellen Qualitäten.

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