Kalle Kalkowski - Musiker, aufgewachsen im Körnerkiez
Den Rockmusiker Kalle
Kalkowski in das Erzählcafé einzuladen ist ein Vorschlag von Astrid Tag vom
Quartiersmanagement. „Er stammt aus dem Kiez und ist bei unseren Festen aufgetreten.
Ich bin mit ihm befreundet und werde ihn mal fragen.“ Kalle hat zugesagt.
Nun sitzt er im
Leuchtturm neben mir und redet. Es entwickelt sich sofort eine freundschaftliche,
fast kumpelhafte Atmosphäre. Nach und nach trudeln die Zuhörer ein. Kalle packt
seine Gitarre aus und legt sie bereit.
Kalle wird am 20. 1. 1950 als Gottfried Kalkowski im Haus
von „Musik-Bading“ in der Thomasstraße geboren. Sein Vater hatte nach dem Krieg
dort eine Wohnung bekommen, weil er Tischler war und beim Wiederaufbau des
kriegszerstörten Hauses mit anpacken sollte. Schon als Junge beginnt er mit dem
Musikmachen und trommelt auf selbstgebastelten Instrumenten. Als er Zuspruch
bekommt, bittet er seine Mutter, ihm ein Schlagzeug zu kaufen. Bei Musik
Wiebach in der Gneisenaustraße findet sie ein günstiges Angebot und kauft es
heimlich, denn der Vater soll es nicht wissen. Schließlich gibt es in dieser Zeit andere Prioritäten.
Gottfried, den alle „Kalle“ nennen, beginnt 1966 mit seinen
Freunden Musik zu machen und baut eine Band auf: „The Urchins“. Bei den
Auftritten in Jugendheimen und Clubs lernen sie auch andere Musiker kennen.
Eines Tages bekommt Kalle ein Angebot, bei den „Screaming Butlers“ als
Schlagzeuger einzusteigen. Allerdings muss er das Schlagzeug übernehmen. Es
kostet 1000 DM. Woher soviel Geld nehmen? Seine Mutter kann ihm 100 DM geben.
Inzwischen hat Kalle eine Malerlehre begonnen, und er bespricht das Problem mit
seinem Chef. Dieser leiht ihm 900 DM und wird monatlich 90 DM von seinem
Lehrlingsgehalt einbehalten. Da Kalle ein zuverlässiger und tüchtiger Lehrling ist,
zieht er nur ein einziges Mal eine Rate ab. „The Screaming Butlers“ (später „The
Outs“) spielen alten Beat und Soul sowie Musik der Rolling Stones, Pretty
Things und Beatles und ändern jedes Jahr ihr Programm. Bei Bandwettbewerben
gewinnen sie die vorderen Plätze.
Dann beginnt die Zeit mit den Mädchen. Plötzlich ist seine
Freundin schwanger. Kalle bietet an mit ihr zusammenzuziehen. Sie aber sagt,
ihre Mutter bestehe darauf, dass sie heiraten müssten. Kalle fügt sich, und
seine junge Frau bringt wenig später eine Tochter zur Welt.
1974 gründet er die Band „Roxenon“, in der Kalle neben dem
Schlagzeugspiel auch singt. Es folgen die Bands „Highway“ und „Bleibtreu
Revue“. Neben der Musik arbeitet Kalle als Maler, denn von der Musik kann er
nicht seine Familie ernähren. In einem dieser Winter fährt Kalle mit seinen
Freunden nach Schweden und verliebt sich unsterblich in eine Schwedin. Noch
heute tut es ihm Leid, was er damit Frau und Tochter angetan hat. Es sind wilde
Zeiten. Die Beziehung zur Schwedin hält gerade ein Jahr. Das Hin- und
Herfahren, um sich zu sehen, belastet mehr als dass es erfreut. Ausgerechnet im
schlimmsten Drogenschuppen, dem „Sound“ in der Genthiner Straße, lernt er Rita
kennen, seine zweite Frau, mit der er heute noch zusammen ist. Rita ist bei
Schering Rechtsanwaltsgehilfin und kann gut organisieren. Mit ihr betreibt er
einen Farbenladen in der Thomasstraße, den die beiden gekauft haben. Dann
planen sie mit dem Flugzeug um die Welt zu reisen und beginnen schon mit dem
Räumungsverkauf. Dabei verdienen sie so viel Geld wie nie zuvor, so dass sie
mit dem Laden weitermachen wollen und auf die Reise verzichten. Später arbeitet
Rita bei Joe’s Bierhaus und sorgt dort für gute Engagements. Ab 1983 tritt
Kalle unter seinem eigenen Namen auf mit wechselnden Musikern und verschiedenen
Stilen. Inzwischen beherrscht er auch die Gitarre, um bei Einzelauftritten sich
selbst begleiten zu können. Das Interessante
an Kalles Musik ist, dass er die alten Rocklieder aus den 1960er-Jahren
teilweise mit deutschen Texten singt.
1985 wird sein Sohn geboren. Kalle macht fünf Jahre Pause
von der Musik und arbeitet als Maler in seiner eigenen Firma. Dann entwickelt
er seine erste Langspielplatte unter seinem Namen. Er hat bei Ariola einen
Plattenvertrag und bekommt Unterstützung von erfahrenen Leuten. Die LP hat den
Titel: „Tief aus’m Bauch“. 1989 folgt die nächste LP „Sturm“, produziert im
Studio von Dieter Dirks in Köln. Gast ist Phil May von den Pretty Things; mit ihm werden Demos in London
aufgenommen. Phil und Kalle singen gemeinsam den alten Ohrwurm „Midnight To
Six“. Das ist für ihn ein überwältigendes Erlebnis, hat er doch seit seiner
Jugend Pretty Things immer bewundert. Nun steht er neben Phil May, der auch
noch ein Kopf kleiner ist als er. Die „Sturm“-Produktion führt ihn auch nach Kalifornien zu einer Fotosession mit dem bekannten Fotografen Jim Rakete.
Von 1977 bis 2008 entstehen 6 Singles und vier Alben. Man
kann beobachten, wie sich Kalle immer mehr zum Rockpoeten und Liedermacher
entwickelt. Er schreibt alle Texte selbst. Die Themen entsprechen seiner
Erfahrungswelt: Verliebtheit, Enttäuschung, Alkoholsucht. Er besingt seinen
kleinen Sohn („Zwergenland“), die Höhen und Tiefen der Liebe zu seiner Frau
Rita, die Trauer über den Tod eines
guten Musikerfreundes; selbst die Schwiegermutter hat ihn zu einem Lied
herausgefordert. Seine raue und kräftige Stimme kann er zu unerwarteter
Sanftheit und Melancholie modulieren. Bei vielen Liedern möchte man einfach nur
tanzen. Manche, wie „Julia“ sind ein Hit geworden.
2011 schreibt Kurt Krömer als Schirmherr des „Heimathafens“ eine
Hymne für Neukölln aus. Die Band „Kalkowski“ gewinnt den Wettbewerb mit
„Neukölln, du alte Hure...“ Es ist ein großartiger Erfolg. Mit von der Partie
ist inzwischen der Schlagzeuger Boris Kalkowski, sein Sohn, auf den er sehr
stolz ist. Boris hat nach dem Abitur eine Ausbildung als Malermeister
absolviert, erst in Kalles Betrieb mitgearbeitet und sich dann mit einem
eigenen Betrieb selbstständig gemacht. Boris ist genau so musikalisch wie sein
Vater, und die beiden betreiben in der Thomasstraße ein Musikstudio; demnächst
steht eine gemeinsame USA-Reise an. 2015 erscheint die jüngste CD „Kalkowski
unterwegs“, wo auch eine Mundharmonika einbezogen wird. Diese CD wurde im neuen
Spandauer Studio unter dem eigenen Label „Rebelrogue“ produziert. Zwischendurch
gibt es immer wieder Live-Auftritte in kleinen Klubs oder auf Straßenfesten.
Für die Zukunft wünscht sich Kalle noch stärker in die
stillere Kleinkunst einzudringen und als Rockpoet Geschichten zu erzählen. Er
hat viele Kurzgeschichten und Gedichte über das alltägliche Leben auf Lager,
die er vertont.
Zwischendurch greift
Kalle immer wieder zur Gitarre und singt ein Lied. Von „Neukölln, du alte Hure“
rezitiert er auch den Text. Wenn er singt, stimmt einfach alles. Er ist
authentisch, wirkt ehrlich. Er ist so echt wie die Neuköllner Hinterhöfe, die
er liebt, hat eine Zeitung einmal treffend geschrieben. Wir danken ihm für diesen
wunderbaren Nachmittag.
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