Dr. Christian Hoffmann,
"Grüner" Neuköllner, BVV-Mitglied, Vorsitzender Pyramidengarten e.V.
Alles für Neukölln
Christian Hoffmann beantwortet
sogar an einem Sonntag meine E-Mail. Als vielfältig
engagierter Neuköllner und grüner Bezirkspolitiker sagt er spontan
zu beim nächsten Erzählcafé über sich zu berichten.
Natürlich kommt er mit
dem Fahrrad, vernünftig gekleidet mit Sicherheitsjacke.
Ein Muss für eine Fachkraft für Arbeitssicherheit.
Er sieht aus wie ein Feuerwehrmann, der gleich tatkräftig anpacken wird. Aber
er nimmt in aller Ruhe Platz in unserer Runde und erzählt
chronologisch.
Christian Hoffmann wird 1962 in der Neuköllner Neckarstraße geboren.
Seine Jugend, die Zeit vom fünften bis zum 18. Lebensjahr, verlebt er in
Hermsdorf. Dann zieht er zurück in sein Geburtshaus und verlässt Neukölln
seitdem nicht mehr. In Hermsdorf besucht er die Katholische
Salvator-Schule. Er
ist ein gelangweilter Schüler.
In
der 8. Klasse stellen ihn die Lehrer vor die Alternative: entweder richtig
lernen und Abitur machen oder nach
der 10. Klasse arbeiten gehen.
Er entschließt sich zu pauken und erreicht in der 10. Klasse einen Notendurchschnitt
von immerhin 1,3. Dann wechselt er auf die Thomas-Mann-Schule im Märkischen
Viertel, wo er sein Abitur ablegt. Das Märkische Viertel ist eine der drei
Westberliner Großsiedlungen am Stadtrand, die seit den 1960er-Jahren geplant
und gebaut wurden. Christian lernt es als Problemgebiet kennen. Als bedrückend
empfindet er nicht nur den hohen Anteil von Familien, die von der Sozialhilfe abhängig
sind, sondern auch die bauliche Situation: Betonburgen mit spärlichem Grün, mangelnder
Infrastruktur und schlechter Verkehrsanbindung. Eines Tages wird seine Schule
mit Hakenkreuzen besprüht. Es ist für ihn
selbstverständlich, dass er,
der in Schülerzeitung und
Schülervertretung aktiv ist,
bei der Vorbereitung der Antwort, einer antifaschistischen Aktionswoche, aktiv
wird. Heute ist das Märkische Viertel ein Wohngebiet, in dem die
Menschen gern wohnen. Der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau ist es gelungen das Gebiet
vor dem Umkippen zu bewahren, und sie hat es über die Jahre modernisiert.
Nach dem Abitur möchte Christian etwas praktisches Tun. Er
beschließt eine Ausbildung als Krankenpfleger zu absolvieren und überbrückt die
Wartezeit mit einem Job bei der Firma Gegenbauer, wo er ein Jahr lang Treppen
putzt und beim Winterdienst eingesetzt ist. Nach seiner
dreijährigen Ausbildung arbeitet er noch
zwei Jahre im Klinikum Charlottenburg als Krankenpfleger. Mit
dem schon damals sehr knapp bemessenen Personalschlüssel
unzufrieden,
weil zu wenig Zeit für die
Patienten bleibt, beginnt er ein Studium der
Lebensmitteltechnologie an der Technischen Universität Berlin. Er kocht nämlich
gern und möchte mehr Wissen erlangen.
Doch das Studium kann seine Fragen nicht beantworten, da es dabei vorrangig um
die Konstruktion von Lebensmittel verarbeitenden
Maschinen geht. Deshalb bricht er es nach dem Vordiplom ab, um
Landschaftsplanung studieren. Das ist endlich jenes
Gebiet, das ihn in seinen Bann zieht. Ihn
begeistert die Art und Weise des Studiums: projektorientiert und
in kleinen Gruppen. Die Studierenden können sich bis zu 12
Monaten lang mit einem Thema beschäftigen, das sie von allen
Seiten beleuchten. Vorlesungen und Übungen sind in die Thematik integriert. Er
bedauert, dass die nach ihm Studierenden nicht mehr dieses Privileg haben
können, denn nach einer Studienreform ist der Universitätsunterricht stärker
reguliert und verschult worden.
Christian spezialisiert sich in Bodenkunde,
schreibt seine Diplomarbeit über dieses Thema, und bekommt am Fachgebiet
Bodenkunde eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter, wo er
auch promoviert. In dieser Zeit leitet er ebenfalls fünf Jahre
lang das Bodenchemielabor.
Insgesamt zehn
Jahre forscht er als
Wissenschaftler über die Berliner Rieselfelder und über die Frage,
wie die negativen Folgen bei Aufgabe der Rieselfelder und neuer Nutzung des
Geländes vermieden werden können. Bis in die 1970er-Jahre wurden die Abwässer
aus der Kanalisation auf die außerhalb der Stadt liegenden Rieselfelder
gepumpt. Da die Abwässer auch Nährstoffe enthielten, wurden die Rieselfelder landwirtschaftlich
genutzt. Die Bauern zeigten stolz ihre riesigen Erträge vor ohne genau zu
wissen, wie stark diese mit Schadstoffen belastet waren. Seitdem das Abwasser
in Klärwerken gereinigt wird, kann die Fläche der Rieselfelder anderweitig
genutzt werden. In vielen Forschungsprojekten
deckt Christian die
einzelnen Bodenbelastungen auf (Schwermetalle und organische Schadstoffe) und entwickelt
mit seinen Kollegen
Konzepte für eine künftige Nutzung ohne Gefahren.
Im Jahr 2002 gründet Christian sein eigenes Ingenieurbüro in
der Neuköllner Neckarstraße und wird für verschiedene
Unternehmen in Berlin
und Brandenburg als Berater tätig. 2006 macht er bei der Bauberufsgenossenschaft
eine Zusatzausbildung als „Fachkraft für Arbeitssicherheit“. Seitdem berät er
in ganz Deutschland Firmen im Bereich des Arbeitsschutzes,
erstellt Unterlagen, erarbeitet Sicherheits- und
Gesundheitsschutzkonzepte und führt
Schulungen durch.
2006 wird im Bereich der Flughafenstraße ein
Quartiersmanagement eingerichtet. Sein Haus in der Neckarstraße liegt in diesem
Bereich. Christian ist erfreut, dass in diesem schwierigen Quartier endlich
„etwas passieren“ soll. Er will mitmachen, sich engagieren und lässt sich in
den Quartiersrat wählen. Seitdem ist er für seinen Kiez, aber auch für ganz
Neukölln im Einsatz. Mit jedem Projekt kommen ihm neue Ideen, was er (mit
anderen) in Neukölln verbessern kann. Bei den meisten Umweltaktionen ist Christian
dabei, oft mit den Mitarbeitern
seines Büros. Er unterstützt zum Beispiel den alljährlichen großen Kiezputz
im Flughafenquartier, der stets mit einer Pflanzaktion endet. Im Körnerkiez
hilft er den Schülerinnen und Schülern von der Peter-Petersen-Schule beim
Projekt „Attacke gegen Hundekacke“ und fasst kräftig mit an. Auch dort ist er in
verschiedenen Quartiersmanagement-Projekten aktiv und
erlebt, wie diese Gestalt
annehmen und helfen die Lebenssituation im Kiez zu verbessern wie der
Spielplatz an der Schierker Straße, die Zwischennutzungen in den Läden an der
Emser Straße, die Hofgestaltung und die neue Mensa im Albrecht-Dürer-Gymnasium.
Eines Tages hört er von einem Gelände in der Nähe des
Britzer Gartens, das gemeinsam von den Nachbarn, Menschen unterschiedlichster
Nationen, bewirtschaftet wird. So etwas brauchen wir auch im Neuköllner Norden,
beschließt er. Einen multikulturellen Nachbarschaftsgarten, in dem die gesamte
bunte Mischung Neuköllns repräsentiert wird; wo man zusammenkommt und sich
kennenlernen und miteinander austauschen kann! Christian macht sich mit einigen
Mitstreitern auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück, sehr lange ohne
Erfolg. Dann plötzlich ein Anruf aus dem Rathaus: „Bitte kommen Sie heute Nachmittag
zum Columbiadamm zum Garnisonfriedhof, dort befindet sich eine kleine Fläche,
die früher dem Friedhofsamt als Personalunterkunft gedient hat. Vielleicht ist
das etwas für Sie.“
2006 wird der Verein „Multikultureller NachbarschaftsGarten
Neukölln e.V.“ gegründet.
Weil der Name zu lang und umständlich ist, nennen die
Mitglieder ihren Verein einfach „Pyramidengarten“ in Anlehnung an die Dachform
des Vereinshauses. Das Gebäude wurde ursprünglich für das Friedhofsamt
errichtet, stand aber seit längerem
leer. 2007 beginnen die Arbeiten im Pyramidengarten. Der Teil des
Grundstücks wird in 13 kleine Flächen zu je 20 Quadratmetern aufgeteilt, manche
Flächen werden noch halbiert, so dass jeweils eine Gruppe ein Beet
bewirtschaften kann. Der andere Teil des Grundstücks steht der Gemeinschaft zur
Verfügung mit einer Kräuterspirale, einer Sträucher- und Staudenfläche, dem Holunder,
der Kornelkirsche und einigen
alten Ostsorten.
Entlang der Mauer am Columbiadamm wachsen Stauden Topinambur und Wein. Auch
gibt es mehrere Bienenvölker.
Der Garten ist als Ort der Begegnung offen für alle. Er ist
Veranstaltungsort, Treffpunkt für Umweltbildung, Kultur und Kunst und hat sich
bis heute zu einem kleinen Paradies mitten in der Großstadt entwickelt. Etwa 13 Nationalitäten sind unter den Vereinsmitgliedern vertreten. Zwei Broschüren liegen
vor. Die eine, „Zwiebelsaft, Beinwell & Co.“, zeigt auf, was die Menschen
unterschiedlicher Kulturen unter Gesundheit verstehen. Was haben sie für
Hausmittel und Rezepte? Christian bringt das Rezept für den Zwiebelsaft gegen
Halsschmerzen ein. Diese Broschüre entstand 2011 während eines Studienprojektes
der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Die zweite Veröffentlichung,
„Pflanzen, Säen, Ernten“, ist ein Ratgeber im Rahmen des Projekts „Umweltbildung
Flughafenkiez“, 2011–2013. Sie enthält Ideen und Anregungen, wie Eltern und
Erzieher ihre Kinder an das Themenfeld Umwelt heranführen können. Christian war
Leiter des Projektes und ist einer der Autoren.
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