Samstag, 12. November 2016

24. Erzählcafé im Körnerkiez

Donnerstag, 10. November 2016

Dr. Christian Hoffmann,
"Grüner" Neuköllner, BVV-Mitglied, Vorsitzender Pyramidengarten e.V.

Alles für Neukölln

Christian Hoffmann beantwortet sogar an einem Sonntag meine E-Mail. Als vielfältig engagierter Neuköllner und grüner Bezirkspolitiker sagt er spontan zu beim nächsten Erzählcafé über sich zu berichten.
Natürlich kommt er mit dem Fahrrad, vernünftig gekleidet mit Sicherheitsjacke. Ein Muss für eine Fachkraft für Arbeitssicherheit. Er sieht aus wie ein Feuerwehrmann, der gleich tatkräftig anpacken wird. Aber er nimmt in aller Ruhe Platz in unserer Runde und erzählt chronologisch.


Christian Hoffmann wird 1962 in der Neuköllner Neckarstraße geboren. Seine Jugend, die Zeit vom fünften bis zum 18. Lebensjahr, verlebt er in Hermsdorf. Dann zieht er zurück in sein Geburtshaus und verlässt Neukölln seitdem nicht mehr. In Hermsdorf besucht er die Katholische Salvator-Schule. Er ist ein gelangweilter Schüler. In der 8. Klasse stellen ihn die Lehrer vor die Alternative: entweder richtig lernen und Abitur machen oder nach der 10. Klasse arbeiten gehen. Er entschließt sich zu pauken und erreicht in der 10. Klasse einen Notendurchschnitt von immerhin 1,3. Dann wechselt er auf die Thomas-Mann-Schule im Märkischen Viertel, wo er sein Abitur ablegt. Das Märkische Viertel ist eine der drei Westberliner Großsiedlungen am Stadtrand, die seit den 1960er-Jahren geplant und gebaut wurden. Christian lernt es als Problemgebiet kennen. Als bedrückend empfindet er nicht nur den hohen Anteil von Familien, die von der Sozialhilfe abhängig sind, sondern auch die bauliche Situation: Betonburgen mit spärlichem Grün, mangelnder Infrastruktur und schlechter Verkehrsanbindung. Eines Tages wird seine Schule mit Hakenkreuzen besprüht. Es ist für ihn selbstverständlich, dass er, der in Schülerzeitung und Schülervertretung aktiv ist, bei der Vorbereitung der Antwort, einer antifaschistischen Aktionswoche, aktiv wird. Heute ist das Märkische Viertel ein Wohngebiet, in dem die Menschen gern wohnen. Der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau ist es gelungen das Gebiet vor dem Umkippen zu bewahren, und sie hat es über die Jahre  modernisiert.

Nach dem Abitur möchte Christian etwas praktisches Tun. Er beschließt eine Ausbildung als Krankenpfleger zu absolvieren und überbrückt die Wartezeit mit einem Job bei der Firma Gegenbauer, wo er ein Jahr lang Treppen putzt und beim Winterdienst eingesetzt ist. Nach seiner dreijährigen Ausbildung arbeitet er noch zwei Jahre im Klinikum Charlottenburg als Krankenpfleger. Mit dem schon damals sehr knapp bemessenen Personalschlüssel unzufrieden, weil zu wenig Zeit für die Patienten bleibt, beginnt er ein Studium der Lebensmitteltechnologie an der Technischen Universität Berlin. Er kocht nämlich gern und möchte mehr Wissen erlangen. Doch das Studium kann seine Fragen nicht beantworten, da es dabei vorrangig um die Konstruktion von Lebensmittel verarbeitenden Maschinen geht. Deshalb bricht er es nach dem Vordiplom ab, um Landschaftsplanung studieren. Das ist endlich jenes Gebiet, das ihn in seinen Bann zieht. Ihn begeistert die Art und Weise des Studiums: projektorientiert und in kleinen Gruppen. Die Studierenden können sich bis zu 12 Monaten lang mit einem Thema beschäftigen, das sie von allen Seiten beleuchten. Vorlesungen und Übungen sind in die Thematik integriert. Er bedauert, dass die nach ihm Studierenden nicht mehr dieses Privileg haben können, denn nach einer Studienreform ist der Universitätsunterricht stärker reguliert und verschult worden. 

Christian spezialisiert sich in Bodenkunde, schreibt seine Diplomarbeit über dieses Thema, und bekommt am Fachgebiet Bodenkunde eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter, wo er auch promoviert. In dieser Zeit leitet er ebenfalls fünf Jahre lang das Bodenchemielabor. Insgesamt zehn Jahre forscht er als Wissenschaftler über die Berliner Rieselfelder und über die Frage, wie die negativen Folgen bei Aufgabe der Rieselfelder und neuer Nutzung des Geländes vermieden werden können. Bis in die 1970er-Jahre wurden die Abwässer aus der Kanalisation auf die außerhalb der Stadt liegenden Rieselfelder gepumpt. Da die Abwässer auch Nährstoffe enthielten, wurden die Rieselfelder landwirtschaftlich genutzt. Die Bauern zeigten stolz ihre riesigen Erträge vor ohne genau zu wissen, wie stark diese mit Schadstoffen belastet waren. Seitdem das Abwasser in Klärwerken gereinigt wird, kann die Fläche der Rieselfelder anderweitig genutzt werden. In vielen Forschungsprojekten deckt Christian die einzelnen Bodenbelastungen auf (Schwermetalle und organische Schadstoffe) und entwickelt mit seinen Kollegen Konzepte für eine künftige Nutzung ohne Gefahren.

Im Jahr 2002 gründet Christian sein eigenes Ingenieurbüro in der Neuköllner Neckarstraße und wird für verschiedene Unternehmen in Berlin und Brandenburg als Berater tätig. 2006 macht er bei der Bauberufsgenossenschaft eine Zusatzausbildung als „Fachkraft für Arbeitssicherheit“. Seitdem berät er in ganz Deutschland Firmen im Bereich des Arbeitsschutzes, erstellt Unterlagen, erarbeitet Sicherheits- und Gesundheitsschutzkonzepte und führt Schulungen durch.

2006 wird im Bereich der Flughafenstraße ein Quartiersmanagement eingerichtet. Sein Haus in der Neckarstraße liegt in diesem Bereich. Christian ist erfreut, dass in diesem schwierigen Quartier endlich „etwas passieren“ soll. Er will mitmachen, sich engagieren und lässt sich in den Quartiersrat wählen. Seitdem ist er für seinen Kiez, aber auch für ganz Neukölln im Einsatz. Mit jedem Projekt kommen ihm neue Ideen, was er (mit anderen) in Neukölln verbessern kann. Bei den meisten Umweltaktionen ist Christian dabei, oft mit den Mitarbeitern seines Büros. Er unterstützt zum Beispiel den alljährlichen großen Kiezputz im Flughafenquartier, der stets mit einer Pflanzaktion endet. Im Körnerkiez hilft er den Schülerinnen und Schülern von der Peter-Petersen-Schule beim Projekt „Attacke gegen Hundekacke“ und fasst kräftig mit an. Auch dort ist er in verschiedenen Quartiersmanagement-Projekten aktiv und erlebt, wie diese Gestalt annehmen und helfen die Lebenssituation im Kiez zu verbessern wie der Spielplatz an der Schierker Straße, die Zwischennutzungen in den Läden an der Emser Straße, die Hofgestaltung und die neue Mensa im Albrecht-Dürer-Gymnasium.

Eines Tages hört er von einem Gelände in der Nähe des Britzer Gartens, das gemeinsam von den Nachbarn, Menschen unterschiedlichster Nationen, bewirtschaftet wird. So etwas brauchen wir auch im Neuköllner Norden, beschließt er. Einen multikulturellen Nachbarschaftsgarten, in dem die gesamte bunte Mischung Neuköllns repräsentiert wird; wo man zusammenkommt und sich kennenlernen und miteinander austauschen kann! Christian macht sich mit einigen Mitstreitern auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück, sehr lange ohne Erfolg. Dann plötzlich ein Anruf aus dem Rathaus: „Bitte kommen Sie heute Nachmittag zum Columbiadamm zum Garnisonfriedhof, dort befindet sich eine kleine Fläche, die früher dem Friedhofsamt als Personalunterkunft gedient hat. Vielleicht ist das etwas für Sie.“

2006 wird der Verein „Multikultureller NachbarschaftsGarten Neukölln e.V.“ gegründet.
Weil der Name zu lang und umständlich ist, nennen die Mitglieder ihren Verein einfach „Pyramidengarten“ in Anlehnung an die Dachform des Vereinshauses. Das Gebäude wurde ursprünglich für das Friedhofsamt errichtet, stand aber seit längerem leer. 2007 beginnen die Arbeiten im Pyramidengarten. Der Teil des Grundstücks wird in 13 kleine Flächen zu je 20 Quadratmetern aufgeteilt, manche Flächen werden noch halbiert, so dass jeweils eine Gruppe ein Beet bewirtschaften kann. Der andere Teil des Grundstücks steht der Gemeinschaft zur Verfügung mit einer Kräuterspirale, einer Sträucher- und Staudenfläche, dem Holunder, der Kornelkirsche und einigen alten Ostsorten. Entlang der Mauer am Columbiadamm wachsen Stauden Topinambur und Wein. Auch gibt es mehrere Bienenvölker.

Der Garten ist als Ort der Begegnung offen für alle. Er ist Veranstaltungsort, Treffpunkt für Umweltbildung, Kultur und Kunst und hat sich bis heute zu einem kleinen Paradies mitten in der Großstadt entwickelt. Etwa 13 Nationalitäten sind unter den Vereinsmitgliedern vertreten. Zwei Broschüren liegen vor. Die eine, „Zwiebelsaft, Beinwell & Co.“, zeigt auf, was die Menschen unterschiedlicher Kulturen unter Gesundheit verstehen. Was haben sie für Hausmittel und Rezepte? Christian bringt das Rezept für den Zwiebelsaft gegen Halsschmerzen ein. Diese Broschüre entstand 2011 während eines Studienprojektes der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Die zweite Veröffentlichung, „Pflanzen, Säen, Ernten“, ist ein Ratgeber im Rahmen des Projekts „Umweltbildung Flughafenkiez“, 2011–2013. Sie enthält Ideen und Anregungen, wie Eltern und Erzieher ihre Kinder an das Themenfeld Umwelt heranführen können. Christian war Leiter des Projektes und ist einer der Autoren.

Aber Christian hat selten genug, er will Veränderungen nicht nur denken, er will, dass diese auch Realität werden. Deshalb ist er seit 2010 wieder Mitglied der GRÜNEN und seit Oktober 2016 Mitglied der GRÜNEN-Fraktion in BVV Neukölln. Er interessiert sich für Bereiche, wo „man dicht an den Menschen ist“. Im Ausschuss für „Eingaben und Beschwerden ist er ebenso aktiv, wie im Sportausschuss und als überzeugter Umweltaktivist natürlich auch im Ausschuss für Umwelt- und Natur. Das passt gut zu ihm, dem überzeugten Neuköllner, der fast alles für seinen Stadtteil tut.

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