Regina J. Schwenke:
Kindheitserinnerungen aus der Neuköllner Kriegs- und
Nachkriegszeit
Regina Schwenke ist
eine lebendige ältere Dame, die rechtzeitig im Leuchtturm erscheint und einen
vollgepackten Einkaufswagen hinter sich herzieht. Darin befinden sich viele
Erinnerungsstücke, die sie während ihres Berichtes nach und nach auspackt und
in unserem Kreis herumgehen lässt. Regina Schwenke wurde 1938 in Berlin-Neukölln
geboren. Sie hat dort als Kind in einer Großfamilie die Bombenangriffe des
Zweiten Weltkriegs und die schwierige Nachkriegszeit miterlebt und darüber ein
Buch geschrieben (Regina J. Schwenke: Und es wird immer wieder Tag. 4. überarbeitete
Auflage, Berlin 1913). Das Besondere an ihrem Buch ist, dass sie nicht nur die
Geschehnisse aus Kindersicht schildert, sondern diese auch mit den objektiven
historischen Daten ergänzt. So liegt uns auch ein wertvolles Lehrbuch vor. Regina
J. Schwenke ist Journalistin und Schriftstellerin, hat einen eigenen Verlag und
engagiert sich ehrenamtlich in der Gefangenenfürsorge und als
Sterbebegleiterin. Nächstenliebe gehört zu den wichtigsten Lebensinhalten der
gläubigen Katholikin, die auch fünffache Mutter ist. Uns berichtet sie in
Ausschnitten von ihren Erinnerungen. Sie ersetzen aber nicht die Lektüre des
Buches.
Als Regina am 1. Januar 1938 geboren wird, ist sie das
fünfte Kind in ihrer Familie. Allerdings ist das vierte Kind, ein Mädchen,
gleich nach der Geburt gestorben, so dass die Eltern ihr den Namen dieses
Kindes weitergeben. Nach Regina bringt ihre Mutter noch drei weitere Kinder zur
Welt, zwei davon mitten im Krieg, das letzte im Jahr 1950. Ein Jahr nach Regina
wird ihre Schwester Angela geboren. Regina wächst also zunächst mit den drei
älteren Geschwistern und ihrer jüngeren Schwester auf. Ihr Vater betreibt als
Schmied eine Autowerkstatt und ist stolzer Besitzer eines alten Opels, mit dem
die Familie Ausflüge in die nähere Umgebung macht. Ihre Mutter hat Sekretärin gelernt und hilft
dem Vater bei der Buchführung. Die Familie bewohnt eine Dreizimmerwohnung im
Parterre Manitiusstraße 2. Damals gibt es kaum Autoverkehr, und die Kinder
können vor dem Haus auf der Straße spielen. Um die Kinder kümmern sich auch die
Großeltern und die Tanten. Die beiden Tanten bleiben kinderlos und sehen es als
ihre wichtigste Aufgabe an mit für die Kinder zu sorgen. Denn ein Kind braucht
wegen einer Behinderung besondere Aufmerksamkeit: Rita, die Zweitgeborene. Sie
hat bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen und leidet deswegen unter
epileptischen Anfällen. Die Tanten sind also unverzichtbar und ein wichtiger
Teil der großen katholischen Familie, die der Kirchengemeinde St. Christophorus
in der Nansenstraße angehört. Im Februar 1940 muss der Vater in den Krieg
ziehen. Zum Glück wird er als Techniker hinter der Front eingesetzt, um die
Panzer und Panzerspähwagen zu reparieren. So überlebt er den Krieg.
Seit Ende der 1930er-Jahre werden die Berliner Hauskeller zu
Luftschutzkellern ausgebaut. In der Manitiusstraße 2 entsteht ein großer
Luftschutzraum durch Zusammenlegung zweier Kohlenkeller. Aber durch die Nähe
zum Landwehrkanal sind die Keller oft überflutet, und man muss erst die Ratten
beseitigen. Im Frühjahr 1941 fallen die ersten Bomben auf Berlin, und ab August
versammeln sich auch die Bewohner Neuköllns nach jedem nächtlichen Sirenenalarm
in ihrem Luftschutzkeller. Regina und ihre Geschwister tragen eine an einer
langen Schnur befestigte Pappkarte mit ihren Namen, Adresse und den Namen der
nächsten Verwandten. Auf der Kellertreppe gibt es immer ein unangenehmes
Gedränge, so dass die Kinder froh sind, wenn sie ihre Ecke erreicht haben, wo
die Betten aufgestellt sind. Dann ununterbrochen Bombenabwürfe, auch in unmittelbarer
Nähe. So geht es zahllose Nächte. Am Tag kann man wieder in die Wohnung
zurückkehren, sofern sie nicht beschädigt ist. Im Winter 1943 wird das Haus Manitiusstraße
2 getroffen. Eine Bombe zerteilt es in zwei Teile. Nur eine Hälfte bleibt
stehen. Unter dieser halten sich die Mutter und vier Kinder auf, aber das Bett
des fünften Kindes stand unter dem zerstörten Teil. Zum Glück konnte sich der
Sohn beim ersten gefährlichen Geräusch in Sicherheit bringen. Aber er musste
mitansehen, wie die Nachbarn verschüttet werden.
Reginas Mutter und ihre Tanten gehören durch ihre
Beziehungen zur katholischen St. Christophorus Gemeinde der
Bernhard-Lichtenberg-Gruppe an, die jüdischen Menschen zur Flucht verhilft oder
sie versteckt. (Bernhard Lichtenberg war Domprobst der St-Hedwigs-Kathedrale,
der öffentlich für die Verfolgten des Naziregimes eintrat und sich auch gegen
das Euthanasieprogramm wandte. Er starb 1943 auf dem Weg in das
Konzentrationslager Dachau.) Gemeinsam mit einer befreundeten Familie aus der
Nachbarschaft hat sich Reginas Mutter ein System ausgedacht Juden sicher
verbergen zu können: Indem sie ihre beiden Wohnungen durch eine Klingelschnur
miteinander verbinden ließ, können sie sich nun gegenseitig Warnsignale geben,
wenn sich in einer der Wohnungen Juden aufhalten und SS-Leute an der
Wohnungstür klopfen. Dann wird schnell die Leine gezogen und die jüdische
Familie kann in die Nachbarswohnung fliehen. Inzwischen macht sich ein Kind
hinter der Eingangstür bemerkbar und sagt: „Ein Moment, Mama ist auf dem Klo.“
Die Mutter spült vernehmlich und öffnet langsam die Tür. „Sind Juden hier?“
„Nein, was sollen die denn hier!“ Dann treten die Nazis ein, durchsuchen die
Wohnung, finden niemand und ziehen wieder ab. Die Kinder bekommen das alles mit
und dürfen niemand etwas davon erzählen. Sie tun es auch nicht, denn sie sind
gut erzogen und gehorsam. Verstehen können sie es wohl noch nicht. Aber sie
haben sicher eine Ahnung, auch, dass diese Aktionen sehr gefährlich für die
Familie sind.
Regina und ihre Geschwister spielen selbstverständlich auch
mit den jüdischen Nachbarskindern, die alle einen Stern tragen. Doch nach und
nach verschwinden ihre Freunde einfach. Einmal kommen jüdische Nachbarn zu
Besuch und berichten, dass Verwandte im Warschauer Ghetto eingeschlossen seien.
Das beängstige sie so, dass sie nach Amerika auswandern wollen. Jetzt warten
sie dringend auf das Geld für die Reise, das ihnen die amerikanischen Verwandten
zugesagt haben. Doch bevor das Geld eintrifft, wird die Familie abgeholt. Der
Mutter bleibt nur noch eine Kerze für sie am Marienaltar anzuzünden.
Ab Ende 1942 sollen sich keine Mütter mit Kleinkindern mehr
in Berlin aufhalten. Die Familien werden meistens nach Schlesien evakuiert. Auch
Reginas Familie soll ausreisen, allerdings unter der Bedingung, dass die kranke
Rita nicht mitfährt, sondern in einem „Sanatorium“ untergebracht wird.
Wahrscheinlich wäre sie im „Wiesengrund“ gelandet, in der Städtischen
Nervenklinik für Kinder in Reinickendorf, wenn sich die Mutter nicht standhaft
dagegen gewehrt hätte. Heute wissen wir, dass viele Kinder dort für zweifelhafte
medizinische Forschungen missbraucht wurden und dadurch ums Leben kamen, weil
sie als „unwert“ galten. Die Mutter will trotz der Bombenangriffe mit allen fünf
Kindern und den Tanten in Berlin bleiben. Die Familie soll nicht auseinandergerissen
werden. Auch findet sie noch immer Unterstützung in der St. Christophorus-Gemeinde,
insbesondere von dem jungen Pater Dubis, der auch der
Bernhard-Lichtenberg-Gruppe angehört. Nachdem das Wohnhaus in der
Manitiusstraße halb zerstört ist, braucht die Familie einen anderen
Luftschutzkeller. Aber die Hauskeller in der Nähe sind überfüllt und auch in
der evangelischen Nikodemus- und in der katholischen St.-Christophorus-Kirche
gibt es keinen Platz mehr. Schließlich gelingt es Pater Dubis für die Familie
eine „Kammer“ im Fichtebunker zu organisieren.
Der Fichtebunker ist ein ehemaliger Gasometer in der
Kreuzberger Fichtestraße, der seit 1941 zu einem Hochbunker für rund 6000
Menschen ausgebaut wurde. Auf sechs Etagen entstanden jeweils 120 Kammern mit 24
Küchen. Die Wände bestehen aus 1,80 Meter dickem Stahlbeton, die Decke ist drei
Meter dick. Die Kammern haben keine Fenster.
Notstromaggregate und eine Frischluftversorgung sind eingebaut. Es gibt Waschküchen,
eine Sanitätsstelle und am Eingang eine Registratur, in der ein Bunkerwart
alles kontrolliert. Die Familie erhält eine Kammer für sechs Personen und macht
sich seit dem Winter 1943 täglich gegen 16 Uhr mit dem kleinsten Kind im
Kinderwagen auf den Weg zum Fichtebunker. Dafür braucht sie eine Dreiviertelstunde.
Das ist beschwerlich, zumal die Mutter wieder schwanger ist. Die Kinder haben
genaue Anweisungen, wie sie sich zu verhalten haben und müssen ständig auf die
Psyche der kranken Rita achten. Um ihren Hals hängt ein Pappschild, auf dem
eine Adresse steht, an die man sich im Todesfall wenden kann. Es gibt fünf
Eingänge, und davor parken unzählige Kinderwagen. Wenn bereits Fliegeralarm
ausgelöst ist, wird gedrängelt und geschubst, bis die 2500 Mütter mit den
insgesamt 4000 Kindern eingetreten sind. Jeder muss einen Berechtigungsschein
vorlegen. Die Kammer ist mit sechs Holz-Etagenbetten und zwei Stühlen ausgestattet. Meistens sind
die Kinder schon müde, wenn sie die Kammer erreicht haben und legen sich sofort
ins Bett. Im Fichtebunker fühlen sie sich sicher. Die Bombeneinschläge spüren
sie nicht so stark wie in ihrem ehemaligen Luftschutzkeller. Am Morgen gehen
viele wieder nach Hause und schauen, was die Bomben verwüstet haben und ob ihr
Haus noch steht. Weil sie es eilig haben, nehmen sie sich irgendeinen
Kinderwagen. So kommt es vor, dass für die Familie dann nur noch ein hässliches
Exemplar übrig bleibt. Das bringt die großen Brüder auf die Idee, nach dem
Einparken einfach die Räder abzumontieren und mit in den Bunker zu nehmen. Auf
diese Weise bleibt ihnen der eigene Kinderwagen erhalten.
Über ein Jahr lang verbringt die Familie ihre Nächte im
Fichtebunker. Schnell finden die Kinder viele Freunde, mit denen sie spielen
und über die Flure toben können. Sie tauschen die Abzeichen vom Winterhilfswerk,
die einem nach einer Spende in die Sammelbüchse ausgehändigt wurde. Das sind verschiedene
kleine Figuren, aber auch Liederhefte und Märchenbücher, die zum Lesen lernen
anregen. Die größeren Mädchen - schon mit dem „Mutterblick“ im Auge und dem BDM zugehörig - kümmern sich um die
kleinen Kinder und bringen ihnen das Lesen bei. Viele Autoren sind verboten,
aber Wilhelm Busch, ein Antisemit, darf sein. Die kleineren Mädchen basteln aus
alten Schulheften Steckalben für Oblaten, die sie mit anderen Kindern tauschen.
Die Mütter beschäftigen sich mit Nähen, Stricken oder sie sprechen über Rezepte
und wie sich Mängel kompensieren lassen. Weil die Schnüre, an denen die Pappen befestigt sind,
an den Haaren ziepen, stellen sie weichere Bänder mithilfe der Strickliesel
her. Oder sie trennen Maccostrümpfe auf, die es in den Farben schwarz, grau und
braun gibt und häkeln oder stricken aus den Streifen etwas Neues zum Anziehen. Manche
lesen sich gegenseitig Feldpostbriefe vor. Die Kinder haben aber auch
Pflichten. So müssen sie die Windeln ihrer jüngeren Geschwister auswaschen, auswringen
und sie zum Trocknen über Nacht unter das Laken ihres Bettes legen. Einmal
heißt es, dass Magda Goebbels den Fichtebunker besuchen wird, was die meisten
Frauen begeistert. Reginas Mutter aber verachtet die Nazis und betet als
überzeugte Katholikin jeden Abend für alle Soldaten, Freund und Feind.
Am Abend des 15. März 1944 sollen die fünf Geschwister nicht
im Bunker übernachten, sondern im Luftschutzkeller der Tanten. Ihnen wird für
den nächsten Tag eine Überraschung versprochen. Als sie am Nachmittag zu ihrer
Mutter geführt werden, liegt sie im Bett. Neben ihr steht der Kinderwagen,
darin ein winziges Baby. „Das ist euer Bruder Michael“, sagt sie, auf
begeisterte Zustimmung hoffend. Aber die Kinder reagieren zurückhaltend; sie
wissen, dass die Probleme nur noch größer werden. Mit dem Säugling täglich den
Fichtebunker aufzusuchen ist nun nicht mehr möglich. Der Weg ist zu
beschwerlich und gefährlich. Die Mutter bleibt mit ihren sechs Kindern im Haus
beziehungsweise Luftschutzkeller der Tanten bis es im September 1944 Pater
Dubis gelingt, der Familie einen Platz in der nahe gelegenen evangelischen
Nikodemusgemeinde zu vermitteln. Michael entwickelt später O-Beine, eine
Mangelerscheinung wegen der schlechten Ernährung.
In den letzten Kriegstagen wird Berlin von den Russen
eingenommen. Am 8. Mai 1945 kapitulieren die Deutschen. Der Krieg ist zu Ende.
Die Frauen haben Angst vor den Russen und den Vergewaltigungen. Deshalb machen
sie sich alt und hässlich. Die Russen dringen auch in den Keller ein, wo sich
Reginas Mutter mit ihren Kindern aufhält. Sie hat sich nicht verkleidet und
breitet die Arme um ihre Kinder aus. Aber die Russen nehmen sie zum Entsetzen
der Kinder mit. Nach einer schier endlos langen Zeit kehrt sie wieder zurück.
Die Russen haben ihr nichts angetan. Im Gegenteil, sie schenkten ihr eine große
Tüte Grießbrei und einen Eimer Milch, damit sie für die Kinder Grießbrei kochen
kann. Die Frauen machen sich sofort an die Arbeit und füllen einen alten
Waschkessel mit dem Gries, der Milch und Wasser und lassen ihn auf einem
Kohleofen in der oberen Wohnung kochen. Der Grießbrei brennt an, trotzdem ist
es ein Festessen. Regina glaubt noch viele Jahre später, dass Grießbrei nur so
schmecken muss.
Da das Mietshaus in der Manitiusstraße zerstört ist, muss
sich die Familie eine neue Wohnung suchen. Zufälligerweise ist gerade ein alter
Mann im weitgehend unbeschädigt gebliebenen Haus der Großeltern gestorben, und
die Familie zieht jetzt einfach in dessen Zweizimmerwohnung ein. Aber auch
Verwandte des Verstorbenen, die ebenfalls ausgebombt wurden, erheben Anspruch
auf die Wohnung. Es kommt zum Streit. Da zeigt die Tante ein angebliches
Erlaubnisschreiben von der russischen Kommandantur vor. Niemand kann es lesen,
aber der dicke Stempel überzeugt, und die Interessenten ziehen ab. Die Wohnung
ist komplett eingerichtet, und der Mann hat viele Dinge gehortet und gesammelt,
die die Kinder jetzt auf dem Schwarzen Markt auf dem Hermannplatz verkaufen können.
Im Sommer 1945 kehrt der Vater aus der Kriegsgefangenschaft
heim. Er ist den Kindern fremd geworden; zum ersten Mal sieht er seinen fast
eineinhalb Jahre alten Sohn Michael. Rita, das Sorgenkind, wird immer schwächer
und erkrankt an Ruhr. Die ganze Familie ist bei ihr, als sie die Augen für
immer schließt.
Besonders traurig ist das Ende des jungen Paters Dubis, der
sich während des Krieges für so viele Menschen eingesetzt hat. Weil er
angeblich zu einer Widerstandsgruppe gehörte, erschießen ihn die Russen. Die
Gemeindemitglieder finden schließlich seine Leiche und geben ihm ein so
würdiges Begräbnis wie möglich. Der Besitzer eines Kuhstalles in der
Weserstraße stellt seinen Plattenwagen und sein blindes Pferd zur Verfügung,
und eine große Trauergemeinde begleitet den (Leih-)Sarg (es gibt keine Särge) bis
zum Matthias-Friedhof in Tempelhof.
Weihnachten 1945: das erste Christfest nach dem Krieg. Die
Familie ist wieder zusammen und bemüht sich trotz aller Mängel um ein schönes
Fest. Als Weihnachtsbaumersatz dient ein Besenstiel, an den die Jungen
Tannenzweige montiert haben. Es wird, wie in jeder christlichen Familie,
gesungen, und die Kinder sagen Gedichte auf. Jeder bekommt ein kleines selbstgebasteltes
Geschenk. Alle sind glücklich. Plötzlich klopft es an der Tür. Es ist ein
fremder Mann. Er sucht seinen Vater, der in dieser Wohnung gewohnt hat. Nachdem
die Familie ihm berichtet hat, was geschehen war, lädt sie ihn ein, diesen Tag
mit ihr zu verbringen.
Ostern 1947 steht Reginas Erstkommunion an. Der Vater hat
inzwischen seine Werkstatt wieder eröffnet. Die Tanten sind ebenfalls in Lohn
und Brot, so dass es wirtschaftlich allmählich aufwärts geht. Man beginnt Mehl
und die Kuchenzutaten zusammen zu sammeln, um ein großes Familienfest
vorzubereiten. Alles Nötige ist da, auch die Kerze, aber eines fehlt: das Kleid
für Regina. Die Tanten wollen schon eines aus weißen Laken nähen lassen, als
Tante Käthe, sie arbeitet beim Caritas-Verband, ein großes Paket nach Hause
bringt, in dem eine vollständige Ausstattung für eine Kommunion enthalten ist:
ein weißes Georgette-Kleid, ein weißer Mantel, weiße Strümpfe und schwarze
Lackschuhe. Und an einem goldenen Faden eine Visitenkarte vom Heiligen Vater
aus Rom. Natürlich ist Regina sprachlos und überglücklich. Die Schuhe sind
leider zu groß; aber Regina stopft Watte in die Spitzen. So kann sie zwar mit
ihnen laufen, aber beim Knien in der Kirche wird es kompliziert. Später
passiert mit den kostbaren Schuhen beim Schwimmen im Landwehrkanal ein Unglück.
Regina stellt die Schuhe beim Umziehen auf ein Plumpsklo, stößt aus Versehen daran,
und sie fallen in die Kloake. Der Bademeister zieht sie an einer Angel wieder
heraus. Aber sie sind nicht mehr zu retten, und Regina hat gegenüber den Tanten
ein schlechtes Gewissen.
Seit diesem wunderbaren Geschenk hat Regina J. Schwenke
Kontakt mit dem Vatikan. Viele Jahre später sieht sie gemeinsam mit ihrer alten
Mutter im Fernsehen, dass der Papst sich die Nase schnäuzen muss, aber kein
Taschentuch dabei hat. Da fordert die Mutter sie auf Taschentücher für den
Papst zu besorgen. Das tut Regina, lässt sie mit seinem Namen („Papst Paul
II.“) besticken und schickt das Päckchen nach Rom. Nach vierzehn Tagen erhält
sie ein persönliches Dankschreiben. Und beim nächsten Fernsehauftritt zieht der
Papst eines ihrer Taschentücher hervor und putzt sich damit die Nase.
Die schwierigen Zeiten des Krieges haben die Kinder gelehrt
füreinander da zu sein. Der Vater stirbt schon 1970, aber die besonders
geliebte Mutter wird 97 Jahre alt. Zum Ende ihres Lebens wird sie von allen
Kindern hingebungsvoll gepflegt. Auch die Tanten werden bis zum Tod von allen
Nichten und Neffen aufmerksam versorgt; denn sie wissen es zu schätzen, was
diese für sie getan haben.
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