Donnerstag, 1. Juni 2017
Klaus Feldmann – Gold, Silber und Bronze im Kraftsport
Klaus Feldmann trifft
an diesem Donnerstag als erster in den Räumen des Neuköllner Leuchtturms ein.
In einer großen Tasche transportiert er Bilder, Zeitungsausschnitte und ein
Fotoalbum, die er auspackt und sogleich den allmählich eintrudelnden Besuchern zeigt. Er verwickelt sie sofort in ein
Gespräch, während ich noch mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt bin. Ich
hatte mir den 80-jährigen, breitschultrigen Kraftsportler größer vorgestellt:
Leute, die über 100 Kilogramm stemmen, müssten mindestens 1,80 Meter groß sein.
Bei Klaus Feldmann werde ich eines Besseren belehrt: lange Beine sind eher
hinderlich beim Kraftsport. Es kommt auf die Muskelkraft an, in den Beinen, den
Armen und am Bauch. Später dürfen wir seine Armmuskeln testen. Klaus Feldmann
brennt darauf seine Geschichte zu erzählen und zieht uns drei Stunden in seinen
Bann. Zum Schluss dürfen wir „Du“ zu ihm sagen und er duzt uns. So, wie er es
gewohnt ist.
Klaus Feldmann ist ein waschechter Neuköllner. Heute wohnt
er in Rudow, aufgewachsen ist er in verschiedenen Gegenden Nord-Neuköllns. 1936
wird er geboren. Sein Vater ist Fernfahrer und nur selten zu Hause. Klaus lebt
mit seiner Mutter und dem sechs Jahre älteren Bruder kurze Zeit in der
Thomasstraße, dann in der Oderstraße, wo ihr Wohnhaus im Krieg von einer
Luftmine zerstört wird. Glücklicherweise finden die Ausgebombten in der
Warthestraße eine Eineinhalbzimmer-Wohnung im vierten Stock. 1944, als die Fliegerangriffe der Alliierten
stärker werden, dürfen Familien mit Kindern sich nicht mehr in Berlin
aufhalten. Klaus und seine Mutter werden im Rahmen der Kinderlandverschickung
nach Uschneudorf bei Schneidemühl (in Pommern, heute Polen) evakuiert. Klaus
besucht dort die Dorfschule. Als sich im Januar 1945 die Ostfront nähert,
fliehen Mutter und Sohn zurück nach Berlin-Neukölln in ihre alte Wohnung und
geraten in das Chaos des Kriegsendes. Klaus Feldmann hat ein gutes Gedächtnis
und kann sich noch an viele Einzelheiten erinnern. Für den aufgeweckten
Neunjährigen hat der Krieg nichts Beängstigendes. „Ich war ein neugieriger
Junge und habe überall herumgestöbert. Dass damit Gefahren verbunden waren, war
mir nicht bewusst“, erklärt er und berichtet, wie nach Kriegsende die Jungen
von der Straße nahe dem Flughafen Tempelhof ein Munitionsdepot entdecken. Sie lösen
das Schwarzpulver aus den Patronen, weil sie wissen, dass man es zum Kochen
benutzen kann. Die russischen Eroberer kümmern sich nicht darum. Wenige Wochen
später fällt Neukölln in die Hände der Amerikaner, die das Spielen mit Munition
bei Strafe verbieten. Einmal erwischen sie einen der Jungen bei der gefährlichen
Bastelei und verprügeln ihn nach Strich und Faden.
Klaus erinnert sich auch an die allerletzten Kriegstage, als
die Russen schon Treptow erreicht haben. Die Menschen in der Stadt versuchen
sich irgendwie über Wasser zu halten; Essbares gibt es kaum noch. Man nimmt
alles Verwertbare, das man findet, einfach an sich und nennt das
„organisieren“. Einmal steht ein beladener Güterzug unbewacht auf dem Neuköllner
Güterbahnhof, den die Leute aufbrechen, um ihn zu plündern, ungeachtet der
immer näher kommenden russischen Bodenangriffe. Klaus und seine Freunde beobachten
die Situation und mischen sich unter die Plünderer. Als das russische Kanonenfeuer
den Zug erreicht, laufen die Kinder und einige Plünderer im letzten Moment weg
und retten sich auf die angrenzende Böschung. Plötzlich erscheint deutsches
Militär und riegelt die Zugtüren ab. Wenige Minuten später fliegt der Zug mit
all den Menschen, die zu langsam und vielleicht zu gierig waren, in die Luft –
vor den Augen der Kinder.
Als später die ersten Russen am Güterbahnhof ankommen, sind
die Straßen wie leergefegt. Die Menschen, es sind ja nur Frauen, Kinder und
Alte, haben sich in den Luftschutzkellern verschanzt. „Die Mongolen waren
besonders rabiat“, erklärt Klaus. „Sie griffen sich den Schnaps und die
Frauen“. Klaus und seine Freunde streunen trotzdem draußen herum; dort ist es
viel zu aufregend, als die Ungewissheit im Luftschutzkeller auszuhalten. Plötzlich
gibt es lautes Geschrei. Da sehen die Kinder, wie sich zwei betrunkene
russische Soldaten aus dem Staub machen wollen. Sie werden verfolgt von einer
halb angezogenen, kreischenden Frau. Auch ein anwesender russischer hoher
Offizier bekommt die Szene mit. Auf Vergewaltigung steht die Todesstrafe. Er
lässt die Soldaten festnehmen und an der nächsten Straßenecke erschießen.
Auf dem Platz vor Klaus’ Haus haben die Russen eine
Gulaschkanone aufgestellt. Und zur Essenszeit stehen die Kinder in gebührendem
Abstand, aber doch sichtbar, mit ihren Essenstöpfen bereit. Immer bekommen die
Kinder etwas ab. Die Russen sorgen dafür, dass sehr bald die Schulen geöffnet
werden. Mit neun Jahren wird Klaus endlich in die Jungenschule an der
Jonasstraße eingeschult. Davor waren Russen im Gebäude einquartiert, teilweise
diente es auch als Pferdestall. Die Klassenräume haben keine Fenster mehr, und
es ist kalt; Kohle gibt es nicht zum Heizen. In eine Klasse gehen 30 und mehr
Kinder; die meisten Lehrer sind alt und wenden noch die Prügelstrafe an. „Ich
war eigentlich kein schlechter Schüler“, sagt Klaus, „gehapert hat es nur bei
der Algebra“. Klaus ist älter und auch viel kräftiger als die meisten seiner
Klassenkameraden, und er entwickelt einen eigenen Gerechtigkeitssinn: „Ich habe
mich für die Schwächeren eingesetzt und die Großen verhauen, wenn sie die
Kleinen geärgert haben.“
Beim Übergang in die Oberschule fallen die
Schulfreundschaften auseinander. Die meisten wechseln zum Praktischen Zweig (vergleichbar
mit der späteren Hauptschule) in die Schule an der Jonasstraße. Sechs Schüler
gehen zum Technischen Zweig (erweiterte Hauptschule) in die Kopfstraße, zwei
zum Wissenschaftlichen Zweig (Gymnasium) in die Schule am Hermannplatz. Klaus
hat eine Empfehlung für den Technischen Zweig, zieht aber den Praktischen vor,
weil die meisten seiner Freunde dort ihre Schullaufbahn beenden wollen.
Fast alle Jungen wollen einmal Lokführer oder Feuerwehrmann
werden. Mehrere Väter von Klaus‘ Freunden waren früher Eisenbahner und so liegt
es nahe, dass Klaus sich bei der Reichsbahn um eine Ausbildung bewirbt. Man
bietet ihm eine Lehre als Betriebsschlosser an, die breit angelegt ist, so dass
er auch vieles über benachbarte Berufe erfährt wie Elektriker, Schmied oder den
Werkzeugbau. 1954 hat er ausgelernt. Inzwischen gehört die Reichsbahn zur DDR,
aber man kann noch sowohl in Ost- als auch in West-Berlin eine Stelle finden.
Allerdings wird die Reichsbahn in West-Berlin kritisch gesehen. Als gelernter
Schlosser bekommt er bei der Reichsbahn 56 DM in der Woche. „Das muss man sich
mal vorstellen“, sagt Klaus noch heute empört. „Ein Radio kostete 200 bis 300
DM!“ Da Klaus sich pfiffig zeigt und auch eine gute Handschrift hat, wird ihm
eine in zwei Jahren frei werdende Planstelle Aussicht gestellt. Nebenbei macht
Klaus Sport. Er beginnt mit Judo und trainiert für die nächste Meisterschaft.
Deshalb kommt er oft zu spät zur Arbeit, die morgens um 7 Uhr beginnt. Doch er
einigt sich mit seinem Chef, dass er erst um 10 Uhr anfangen muss. Aber ein anderes
Problem ist noch nicht gelöst: Klaus braucht mehr Geld. Er möchte sich auch mal
vergnügen, Mädchen einladen, mit ihnen tanzen gehen. Von Sportsfreunden, mit
denen er manchmal Fußball spielt, erfährt er, dass man auf dem Bau mit Akkordarbeit
viel mehr verdienen kann.
Als Hucker verdient Klaus 120 DM in der Woche. Jetzt muss er
um 6 Uhr auf der Baustelle sein, um den Maurern, die eine Stunde später
anfangen, Steine und Zement vorzulegen. In der Regel transportieren Hucker etwa
zwei bis drei Zentner; manchmal sind es auch vier. Dann werden Wetten
abgeschlossen, ob der Hucker das schafft. Wer verliert, zahlt einen Kasten
Bier. Den Sport vernachlässigt Klaus trotzdem nicht. „Ich wollte immer vorne
sein“, erläutert Klaus seinen Antrieb. „Allerdings fand sich beim Judo kein
geeigneter Gegner mehr, und so kann man sich nicht verbessern.“
Also versucht er sich als Ringer und ist auch in dieser
Disziplin erfolgreich. Als Siebzehnjähriger kämpft er in der Hasenheide gegen
den schwedischen Olympiasieger und streckt ihn in zweieinhalb Minuten nieder. Normalerweise
muss man beim Ringerwettkampf mindestens 18 Jahre alt sein, aber Klaus hat eine
Ausnahmegenehmigung. Aufgrund dieses Sieges erhält er eine Einladung nach
Schweden, wo er zwei Monate lang an verschiedenen Turnieren teilnimmt. In
Schweden gibt es Preisgelder: für einen Turniergewinn 50 Kronen. Am Ende seines
Aufenthalts hat er 1000 Kronen zusammen. „Das war wahnsinnig viel Geld für
mich.“ Klaus probiert weitere Sportarten aus, er boxt und spielt Handball.
Immer erfolgreich, so dass der Vielseitige oft für Turniere ausgeliehen wird.
So spielt er auch mal in der Polizeimannschaft Handball gegen die Feuerwehr,
obwohl er kein Polizist ist. „Das nahm man damals nicht so genau.“
Sein Geld verdient er jetzt als Steinmetzhelfer bei der
Errichtung einer Statue im Columbiabad und beim Wiederaufbau des Reichstags.
Dann bietet ihm sein Chef an, ihn morgens zu dessen verschiedenen Baustellen zu
fahren. Der neue Job als Chauffeur hat auch etwas mit seiner Statur zu tun, er
ist nun der Bodyguard des Chefs. Sehr bald bekommt er Angebote als Türsteher
und lernt dadurch das Gastronomiegewerbe näher kennen. Viele Jahre lang
arbeitet er in Berliner Clubs und Discos, wird „Geschäftsführer“ (so nannte man
früher den Rausschmeißer) und macht Anfang der 1960er-Jahre in der Neuköllner
Nogatstraße sein eigenes Lokal auf: „Feldmann’s Bierbar“. Das nötige Geld leiht
ihm sein Onkel. In dieser Zeit gibt es viele Bars in Neukölln mit einem regen Nachtleben
bis in den frühen Morgen, denn Berlin (West) hat keine Polizeistunde. Klaus ist
beliebt und auch gefürchtet; er kann gut tanzen, aber auch kräftig austeilen,
wenn es sein muss. Für seine Freunde, an die sich niemand herantraut, setzt er
sich ein. Aber wenn jemand seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn provoziert,
schlägt er zu. So bekommt er es mit der Polizei zu tun, wird verurteilt und
muss 1959 in den Knast.
„Mein Ruf eilte mir voraus. Im Knast wusste man schon, dass
‚Feldmann kommt’, und ich hatte gleich nach meiner Ankunft in Tegel
Privilegien.“ Die Anstaltskleidung ist neu und nicht, wie üblich, gebraucht; er
darf in der Druckerei arbeiten und bekommt beim Essen immer eine Kelle mehr.
Später wird ihm eine große „Arztzelle“ (eine Art Krankenzimmer) zugewiesen, und
er darf – erst in Begleitung, dann allein – sich im Gefängniskomplex bewegen
und die besten Jobs aussuchen: Hofkommando, Wagenwäscher, Badekalfaktor
(Reinigung des Duschraums und Überwachung des Warmwasserverbrauchs). Im Knast
lernt er den Schauspieler Harald Juhnke kennen, der wegen Trunkenheit am Steuer
und Widerstand gegen die Staatsgewalt einsitzt. „Prima Kerl, ein volkstümlicher
Kumpel!“ Juhnke muss nur ein paar Wochen abbüßen, obwohl eine längere
Verurteilung vorliegt. „Promi-Privileg. Ich hab’s ihm gegönnt.“ In späteren
Jahren wird Klaus ihm noch öfter beruflich begegnen. Bei einer weiteren,
kleineren Haftstrafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes lernt er im Haus 4
Andreas Baader kennen, den späteren Terroristen. „Der war dort wegen eines
kleineren Vergehens, ein ruhiger Typ. Sehr hilfsbereit. Er verfasste für andere
Gefangene zum Beispiel Gnadengesuche und Eingaben für das Gericht. Er war sehr
beliebt.“
Beim nächsten Vergehen ist Klaus schlauer und nutzt seine freundschaftlichen
Beziehungen zu einem Rechtsanwalt. Er erreicht, dass die Richterin „Gnade vor
Recht“ ergehen lässt, ihn aber so streng verwarnt und ihm eine lange Haftstrafe
androht, dass er die Konsequenzen zieht. Er siedelt in das ruhigere Rudow um
und betreibt dort ein neues Lokal.
In dieser wilden Zeit lernt Klaus viele Prominente kennen,
wie die Schauspieler Karin Baal, Gunter Philipp, den Schlagersänger Bully
Buhlan, auch Horst Buchholz, der „Bei Bruno“ in der Schillerpromenade gern ein
Bier trank und einen eher schüchternen Eindruck machte. Drafi Deutscher trat in
verschiedenen Neuköllner Nachtlokalen auf. „Man merkte gar nicht, dass er
Analphabet war“, sagt Klaus anerkennend. „Doch wirklich akzeptiert wurde nur
jemand, der ein guter Tänzer und ein guter Schläger war.“ Dazu gehört die
angemessene Kleidung, bei der man sich an amerikanischen Vorbildern orientiert.
Ein Muss ist der stahlblaue Anzug, das blütenweiße Hemd und der Schlips mit dem
aufgedruckten Hawaiimädchen, ergänzt durch einen Trenchcoat, frei nach Humphrey
Bogart im Film „Casablanca“. Wer diesem Dresscode nicht folgt, wird nicht
respektiert. Klaus trägt dazu Budapester Schuhe mit erhöhtem Absatz. So misst
er schließlich 1,78 Meter, wirkt aber durch sein breites Kreuz und die schmale
Taille noch größer – und hat den Ruf ein Zwei-Meter-Mann zu sein.
In den 1980er-Jahren ist Klaus bei der Polizei privat als
Bodyguard beschäftigt und zuständig für Prominenz, wie Schauspieler und Sänger,
meistens bei Großveranstaltungen. Seine Aufgabe ist es, die Künstler sicher von
einem Ort zum anderen zu schleusen, zum Beispiel durch die Menschenmassen in
den Messehallen: vom Pressecafé zu Halle A, von Halle 3 zur Bühne 9. „Das sah
so aus: Ich vorneweg als Rammbock. Prominente an der Hand. Oder sie hielten
sich an meinem hinteren Hosengurt fest. Dann durch die Masse. Wir standen immer
unter Zeitdruck. Alle waren mit mir zufrieden. Deshalb hatte ich mit den
meisten auch einen persönlichen Kontakt. Zum Beispiel mit: Thomas Gottschalk,
Günter Jauch, Freddy, Harald Juhnke, Dieter Thomas Heck, Marianne Rosenberg,
Gitte und vielen anderen. Manche waren kameradschaftlich, andere eingebildet –
wie im richtigen Leben.“
1999 hat Klaus einen Bandscheibenvorfall. Auch sind drei
Halswirbel beeinträchtigt. Es sind Schäden, die in der Zeit entstanden, als
Klaus Ringer war. „Bei den Überstürzen hatte ich mir die Nerven abgeklemmt. Mir
war klar, ich musste was machen“, erklärt er und berichtet, wie er erneut mit
dem Sport beginnt – nach 35 Jahren Pause. Zum Glück hat er nie geraucht und
erzählt, wie er als Kind mit seinen fünf Freunden heimlich an einer Zigarette
zog und ihm danach so schlecht wurde, dass ihm der Appetit für immer vergangen
ist. Nur eine sündhaft teure kubanische Havanna-Zigarre hat er „aus Angabe“ nie
verschmäht, wenn es die Gelegenheit dazu gab. Dann hat er hineingepustet, anstatt
den Rauch einzuziehen. Auch ist er kein Alkoholiker, obwohl er damals viel
vertragen konnte. Er trank „aus Gesellschaft“, nicht weil es ihm schmeckte.
Insgesamt also sind die Bedingungen günstig, um wieder Sport zu treiben. Klaus
trifft alte Sportsfreunde, die ihn ermuntern und neue Kontakte eröffnen, besucht
Fitness-Studios und entwickelt allmählich wieder den Ehrgeiz der Beste sein zu
wollen. Bei Sparta, einem Buckower Gewichtheberverein, schafft er zum Erstaunen
seiner Freunde auf Anhieb 90 Kilogramm. Es ist ihm ziemlich leicht gefallen und
er spürt, dass er sich steigern kann. Wenige Monate später nimmt er bei der
Berliner Meisterschaft teil und schafft im Bankdrücken 95 Kilo.
Innerhalb von sieben Jahren nimmt er an Kraft zu und verbessert
er seine Leistung auf ca. 150 Kilogramm. Er wird Mitglied der Deutschen
Nationalmannschaft. Eine Meisterschaft folgt auf die andere. Klaus ist in ganz
Europa unterwegs, im Jahr 2004 sogar in Amerika, und holt einen Titel nach dem
anderen, auch Weltmeistertitel. Er kann die vielen gewonnenen Medaillen gar
nicht mehr zählen. Die Wettkämpfe werden zur Routine, „wie das tägliche
Mittagessen. Ich habe alles erreicht. Doch nervös ist man noch immer. Ich
versuche jedes Mal das Beste daraus zu machen.“ Es ist ihm eine Ehre dabei zu
sein.
Heute, mit 80 Jahren, ist Klaus der älteste aktive
Kraftdreikämpfer der Welt in der Klasse bis 105 Kilogramm. Bei Welt- und
Europameisterschaften gewann er insgesamt 20 Gold-, Silber- und Bronzemedaillen.
In den 16 Jahren seit seinem Neustart siegte er bei 138 Meisterschaften;
außerdem kann er 17 deutsche und 40 Berlin-Brandenburgische Rekorde für sich
verbuchen.
Der Kraftdreikampf ist die Königsdisziplin beim Kraftsport,
weil die Gewichte auf vielfältige Art gehoben werden müssen, erklärt Klaus. Bei
der Kniebeuge hält der Sportler eine z. B. 120 kg schwere Langhantel auf dem
Rücken und stemmt sie nach Aufruf in die Höhe. Beim Bankdrücken liegt der
Sportler und hat die Hantel (z. B. 137,5 kg) auf der Brust abgelegt. Auf Zuruf
stemmt er sie mit der Kraft seiner Arme hoch. Bei der dritten Disziplin, dem
Kreuzheben, muss der Sportler die vor ihm liegende Hantel mit z. B. 182,5 kg
mit beiden Händen greifen und hochheben, bis die Knie durchgedrückt sind und
die Schultern nach hinten zeigen. Im Jahr 2003, als Klaus 67 Jahre alt war,
konnte er zum Beispiel in Lechfeld bei den Deutschen Meisterschaften im
Kraftdreikampf mit diesen Gewichten eine Goldmedaille gewinnen. Er war in der
Gewichtsklasse 100 bis 110 Kilogramm gestartet.
Klaus ist stolz auf seine Leistungen und denkt noch nicht
ans Aufhören. Der Kraftsport fällt im noch immer leicht, und er muss sich auch
nicht beim Essen kasteien. Er mag Eisbein, Milch und Kuchen. Seine Freunde
sagen bewundernd, das, was er zu sich nähme, sei Gift; trotzdem sei er der
Beste. Dreimal wöchentlich geht er zum Training, macht Kastenrudern und fördert
den Kreislauf. In den letzten Jahren hat die Kraft ein wenig abgenommen, er ist
jetzt bei ca. 110 Kilogramm. Allerdings hat er starke Schmerzen in den
Gelenken. Doch bei den Wettkämpfen sind die Schmerzen mit Hilfe des frei
werdenden Adrenalins wie weggeblasen. Noch einen weiteren Wermutstropfen
erwähnt er: Bei dieser Sportart kann man nichts verdienen. Preisgelder werden
nicht gezahlt. „Man muss alles selbst finanzieren, die Anfahrt, die Unterkunft,
die vorgeschriebene Sportbekleidung. Der deutsche Verband übernimmt lediglich
das Startgeld. Als Dank bekommt man lediglich einen kräftigen Händedruck vom
Gouverneur oder Bürgermeister.“ Klaus bedauert, dass es keine Sponsoren für den
Kraftsport gibt. Bald sind seine Rücklagen aufgebraucht, dann wird er sich wohl
zurückziehen müssen. Das Abtreten wäre für den Ehrgeizigen schmerzhaft, so
lange er noch Erfolge erzielen kann. Schließlich gibt es eine sportliche
Tradition in der Familie: seine Onkels, die Brüder seiner Mutter, arbeiteten
als Schleuderakrobaten und traten in den 1930er-Jahren bis zum Zweiten
Weltkrieg als „Die vier Bennos“ im Zirkus Barley auf. Der einzige Onkel, der
den Krieg überlebte, machte in den 1950er-Jahren mit der „Carlos-Truppe“
weiter, in der Klaus als vielseitiger Sportler mitarbeiten durfte. Das aufregende
Gefühl auf der Bühne zu stehen, hat er schon damals genossen. Diese Tradition
möchte er so lange wie möglich lebendig halten.
Als wir uns zum
Schluss erschöpft zurücklehnen, fasst Klaus seine Geschichte im schönsten
Berlinerisch zusammen: „Det Jute vergisst man nich, det Schlechte ooch nich.
Aber da is ‘ne Menge noch dazwischen.“
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