Donnerstag, 17. März 2016
Im Körnerkiez findet
man an vielen Stellen die Kärtchen mit der Aufschrift: „Herr Steinle zeigt
Neukölln“. Das macht neugierig (soll es ja auch). Herrn Steinle konnte ich
einmal beobachten. Ich sah, wie er im Körnerpark, mit Schiebermütze und Sakko
bekleidet, aus seiner Aktentasche eine riesige rote Plastik-Gerbera herauszieht
und sie hoch hält, um seine Neukölln-Besucher um sich zu scharen. Ich bin nicht
sicher, ob ich ihn auch schwäbisch sprechen hören konnte, doch das weiß hier
jeder, dass der Herr Steinle aus Schwaben kommt.
Reinhold Steinle muss
es sich noch einmal überlegen, ob er beim Erzählcafé auftreten will. Doch dann
sagt er zu - unter einer Bedingung: über
sich persönlich wird er nichts zum Besten geben.
Ein wenig wird er doch
aus dem Nähkästchen plaudern, der Herr Steinle. Natürlich sprechen wir ihn auf
seine schwäbische Herkunft an. Die Frage scheint ihm zum Halse herauszuhängen.
Doch sehr bald wird deutlich, dass er aus der Not eine Tugend macht, seine Herkunft zu seinem Markenzeichen
stilisiert und sich außerdem zu einem „echten“ Neuköllner entwickelt hat.
Reinhold Steinle,
Stadtführer Neukölln
Reinhold Steinle kommt vom Land, seine Eltern sind Bauern.
Er wächst in Ilsfeld, Kreis Heilbronn, auf. Zu Berlin hat er noch keinen Bezug,
trotzdem spielt Berlin (West) in Ilsfeld eine gewisse Rolle. Nämlich immer
dann, wenn wieder ein junger Mann verschwunden ist. „Der ist nach Berlin
gegangen“, sagen die Leute und dann sagen sie nichts mehr. Sie interessieren sich nicht mehr dafür. Der
junge Mann wird totgeschwiegen. Selbst der Spross des Bürgermeisters wird auf
diese Weise vergessen.
Ein berühmter Sohn der Stadt ist Lothar Späth, der jetzt
leider sehr krank ist. Reinholds Tante ging mit ihm in eine Klasse. Sein Vater war der angesehene Chef vom
Raiffeisenhaus. In seiner Jugend poussierte er mit einer reichen
Müllerstochter. Die beiden wollten heiraten. Aber der Vater der Müllerstochter
intervenierte: „Aus dem wird nichts.“ Als Späth dann Ministerpräsident wurde,
konnte man ihn während einer Radiosendung anrufen. Das tat die Müllerstochter, und
sie gratulierte ihm.
Mit 14 Jahren darf Reinhold allein nach Berlin (West) zur
Funkausstellung fahren. Er nimmt den Reisebus, und sein Vater gibt ihm die
erforderliche schriftliche Erlaubnis mit. Im Sommergarten am Funkturm erlebt er
bei einer Live-Fernsehübertragung Hans Rosenthal, den er wegen seiner Sendung
„Dalli-Dalli“ bewundert. Hans Rosenthal strahlt und brilliert. Dann werden die
Kameras ausgestellt. Plötzlich ist Hans Rosenthal wie verwandelt. Er flucht, schimpft
mit Kameramann und Tontechniker und nimmt keine Rücksicht auf das anwesende
Publikum. Erneut auf Sendung wird das Schmierentheater fortgesetzt. Reinhold
ist bitter enttäuscht: „Der ist ja nur nett und lustig, wenn die Kameras laufen!“
Auf der Funkausstellung erblickt
Reinhold auch Thomas Gottschalk, der damals noch ganz lange Haare hat. Doch der
Clou des Ausflugs nach Berlin ist ein
Wortwechsel zwischen zwei etwa 10jährigen Steppkes, den Reinhard zufällig
mithört: Fragt der eine: „Biste ooch een Berliner?“ Sagt der andere: „Klar, ick
bin aus Neukölln!“
Obwohl diese Reise schon so lange her ist, hat Reinhold
dieses „Schlüsselerlebnis“, wie er meint, nie vergessen. Eine andere
einschneidende Erfahrung ist ein Besuch der Comburg nahe Schwäbisch Hall. Das
ist eine Klosteranlage aus der Zeit der Benediktiner. In der Mitte befindet
sich die barocke Stiftskirche St. Nikolaus, in der ein seltener romanischer
Radleuchter hängt. Dieser stammt aus der Vorgängerkirche und interessiert
Reinhold besonders. Reinhold und seine Begleiterin buchen eine Führung bei dem Besitzer
des benachbarten Cafés, dem der Kirchenschlüssel anvertraut wurde. Dessen
leiernder Vortrag ist derart lieblos und langweilig, dass sich Reinhold
schwört: Sollte ich jemals eine Führung machen, dann niemals in einer solchen
Art und Weise. Ich werde immer meine Emotionen mit einflechten.
Man muss vorsichtig sein, solche Wünsche auszusprechen, denn
sie könnten ja in Erfüllung gehen, meint Reinhold Steinle und erzählt, dass er
vor 20 Jahren nach Neukölln kam und eine Wohnung in der Schillerpromenade
bezog. Unter ihm wohnt ein Mann mit einem unberechenbaren Lebenswandel und
Begeisterung für Techno-Musik. Egal zu welcher Tages- und Nachtzeit lässt er
seine Musikanlage laufen; so laut, dass Reinhold über ihm fast aus dem Bett
fällt. Sechs Monate lang hält er es über dem aggressiven Mitbewohner aus. 2005
wirft er das Handtuch und zieht aus, nachdem er eine Wohnung in einem anderen
Bezirk gefunden hat. Der Liebe zu Neukölln tut das keinen Abbruch.
Ein Jahr vor dem Auszug spricht ihn eine befreundete
Künstlerin an, ob er nicht im Rahmen von „48 Stunden Neukölln“ eine Führung
durch die beteiligten Galerien machen könnte. Eigentlich habe ich ja keine
Ahnung, meint Reinhold und sagt trotzdem zu. Er informiert sich und erklärt
dann einer Gruppe von fünf Besuchern, was sich die Künstler bei ihren Werken so
gedacht haben und was er selbst dabei empfindet. Daraus entspinnt sich ein
anregendes Gespräch in der Gruppe. Jeder
gibt einen Kommentar ab. Reinhold ist begeistert und spürt, dass er hier eine
Begabung hat.
2008 beginnt er mit seinen Stadtführungen. Sein erstes Ziel
ist der Richardkiez. Er verbringt viele Tage im Museum Neukölln, liest Bücher,
Zeitschriften, spricht mit Leuten und häuft allmählich sein Wissen an. An der
Historie eines Gebietes oder Hauses ist er immer interessiert. Daten und Fakten
sind das Eine; das Andere, und seiner
Meinung nach viel Wichtigere, sind die Geschichten. Sie transportieren das
Wissen und die Emotionen, so dass man sie besser im Gedächtnis behalten
kann. Seine Führungen macht Reinhold auf Deutsch. An fremde Sprachen wagt er
sich nicht. Einmal hat er Portugiesisch-Unterricht genommen, doch wenn er
portugiesisch sprechen will, lachen die Leute über seine Aussprache.
2008 geht es also los. In der Berliner Woche erscheint ein
einführender Artikel über Steinles künftige Stadtführungen, wo auch der erste
Treffpunkt angegeben ist: die Villa Rixdorf. Niemand erscheint. Auch nicht am
zweiten Termin. Beim dritten Termin findet sich ein älteres Neuköllner Ehepaar
ein, das erleben möchten, wie „der
Schwabe“ die Führungen macht.
Werbung macht Reinhold Steinle mit seinen Karten, die er
überall hinterlegt. Wie ein Kater „markiert“ er seinen Wirkungsradius. Einmal
befindet er sich auf einer privaten Wanderung in Golm/Brandenburg, wo er in
einem entlegenen Café ebenfalls ein paar Kärtchen auslegt. Diese werden ein
paar Tage später von einem leitenden Mitarbeiter der Neuköllner
Wirtschaftsförderung auf einer Radtour entdeckt. Beim nächsten Zusammentreffen
in Neukölln ist dieser des Lobes voll angesichts der „hervorragenden
PR-Maschinerie“.
Anfangs kommen Menschen aus den verschiedensten Bezirken zu
Reinholds Führungen; die Nord-Neuköllner sind noch in der Minderheit. In den
letzten beiden Jahren interessieren sich zunehmend Bewohner aus dem südlichen
Neukölln für ihren Bezirk. Auch Touristen mehren sich, und Reinhold befürchtet,
dass es eines Tages zu viele werden. Denn das kann das Zeichen einer
bevorstehenden Aufwertung des Viertels bedeuten. Dann steigt die Nachfrage nach
Wohnraum, alles wird teurer und die angestammten Mieter können hier nicht mehr
wohnen bleiben. Im Körnerkiez können die Menschen noch immer ihre Miete bezahlen.
Es gibt auch noch Bäcker, wo der Café 70 Cent oder 1 Euro kostet, nicht 2,10
Euro, wie im Reuterkiez. Neulich hat Reinhold dort 2,50 Euro für einen
lauwarmen Kaffee bezahlt! Den konnte er nur auf Englisch bestellen. Reinhold
glaubt nicht daran, dass sich die Neuhinzugezogenen gut integrieren. Im
Comeniusgarten hat er ein großes Graffiti entdeckt. Das waren bestimmt Leute,
die keinen Bezug dazu haben. Er hofft, dass Wedding und Marzahn bald „hip“ werden, damit
in Neukölln ein wenig Ruhe einkehrt. Andererseits macht es Spaß Touristen die
Stadt zu erklären, weil sie neugierig und interessiert sind. Reinhold will gar
nicht so viele Führungen machen. Eine am Tag reicht. Sonst nimmt er nicht mehr
innerlich teil. Er will die Leute auch nicht mit so vielen Zahlen traktieren,
denn sie können sich das alles gar nicht alles merken. Lieber erzählt er
Geschichten.
Als Stadtführer muss man ein Gewerbe anmelden. Das erledigt
Reinhold beim Amt in Schöneberg. In das Formular schreibt er: „Stadtführung
Berlin“. Die zuständige Dame erkundigt sich, wo genau er denn Führungen
anbiete. Reinhold antwortet: „In Neukölln.“ Ihre Reaktion, ihn von oben bis
unten taxierend: „Was wollen Sie denn da zeigen?“ Reinhold zählt verschiedene
Orte auf. „Und wer soll denn überhaupt kommen?“ So wie hier erlebt Reinhold bei
zahlreichen Gelegenheiten, dass viele Berliner abschätzig über Neukölln reden.
Der Rixdorfer Weihnachtsmarkt würde noch durchgehen. Dieses Vorurteil wird von
der Presse noch geschürt. Im Spiegel zum Beispiel erschien ein Artikel mit dem
Titel: „Endstation Neukölln“.
Doch es gibt auch erfreuliche Dinge. Jeden Mittwoch steigt
Reinhold vom Neuköllner Info-Center aus mit Interessierten auf den
Rathaus-Turm. Das läuft so recht und schlecht; viel verdienen kann er dabei
nicht. Einmal tritt ein alter Mann in das Info-Center und sucht eigentlich das
Sozialamt. Er sieht sich um, schaut auf die ausgestellten antiquarischen Bücher
und schlägt eines auf. Dann zeigt er auf eine Seite und sagt: „Das bin ich als
junger Mann.“ Es ist Klaus Feldmann, 80 Jahre, Sportler, Weltmeister im
Kraftsport, Neuköllner von Kindheit an. Später besaß er ein Geschäft. Er hat
Horst Buchholz noch gekannt. Bereitwillig posiert er für ein Foto, jedoch nicht
bevor er sich sein Jackett angezogen hat. Reinhold erklärt ihn zum Ehrengast
und lädt ihn zur nächsten Führung ein.
Nicht immer bereiten ihm seine Führungen nur Freude.
Besonders dann, wenn er zum Berlin-Besuch angereisten Gymnasiasten Neukölln
erklären soll. Vorsichtshalber erkundigt
sich Reinhold, was die Schüler sonst noch am Tag vorhaben. Wenn es dann zum
Beispiel heißt, im Anschluss geht es in das Jüdische Museum, weiß er, es gibt
noch Aufmerksamkeits-Kapazitäten. Schlimm ist es, wenn es sich um den letzten
Programmpunkt des Tages handelt. Dann muss er die gelangweilten Gesichter der
sonst so „wahnsinnig interessierten“ Gymnasiasten ertragen.
Versöhnt hat ihn neulich die Führung achtjähriger
Schülerinnen und Schüler aus der Konrad-Agahd-Schule, bei der nicht ein
einziges deutsches Kind dabei war. Die Kinder lernten das alte Rixdorf kennen,
wo sie noch nie gewesen sind, obwohl ihre Schule nicht einmal zwei Kilometer
entfernt davon liegt. Sie waren sehr aufmerksam, offen und wissbegierig und
hielten konzentriert 1,5 Stunden durch, obwohl nur die Hälfte der Zeit
veranschlagt war. Reinhold ist überzeugt: aus denen wird was. Auf die Frage,
was denn das Schönste an dem Tag war, antwortete ein Junge: „Dass die Lehrerin
bei Kutschen-Schöne dem Hund den Ball zugekickt hat.“ Reinhold war zugleich
gerührt und begeistert.
Wenn Reinhold wieder eine neue Entdeckung machen kann, ist
er glücklich. Woher stammt eigentlich das wunderbare Glasmosaik im Infocenter
des Rathauses? Es wurde 1908 für den Rathausneubau bei Puhl & Wagner, einer
berühmten Neuköllner Glaskunst-Fabrik, hergestellt. Als Hoflieferant Kaiser
Wilhelms II. erhielt die Firma Puhl & Wagner umfangreiche Staatsaufträge
und entwickelte sich in nur wenigen Jahren zum führenden Unternehmen in der
Umsetzung von Glasmosaiken. 1914 fusionierte sie mit der Glasmalerei Gottfried
Heinersdorff und öffnete sich der modernen Kunst. 1933 erhielt die Firma
Staatsaufträge des NS-Regimes. In der Nachkriegszeit sicherte sie sich
zahlreiche Aufträge beim Wiederaufbau. Nach dem Mauerbau nahm das Auftragsvolumen
in Berlin (West)ab. 1969 musste das Unternehmen aufgeben. Die ursprüngliche
Produktionsstätte lag von 1889 bis zur Jahrhundertwende in der Berliner Straße
(heute Hermannstraße), nahe dem Hermannplatz. Dann brauchte die expandierende
Firma mehr Platz und ließ sich von dem berühmten Architekten Franz Schwechten in
der Kiefholzstraße in Rixdorf einen mächtigen Fabrikneubau mit vorgelagertem
Verwaltungs- und Wohngebäude errichten. Leider wurde der Gebäudekomplex 1972
abgerissen. Heute würde er vielleicht von einer Institution wie dem Berghain
genutzt werden. Der 30 Meter hohe Schornstein, gestaltet mit Glasmosaiken, war
weithin sichtbar. Die Firma Puhl & Wagner hat im Lauf von 80 Jahren Gebäude in Berlin und in
aller Welt mit Glaskunst ausgestattet wie den Berliner Dom, den Grunewald-Turm,
Berliner Stadtbäder, den Martin-Gropius-Bau, das Treptower Ehrenmal, das
Stockholmer Stadthaus, das KdF-Schiff „Wilhelm Gustlow“, nach dem Zweiten
Weltkrieg die Foyers des Schillertheaters und den Eingang des Schöneberger
Rathauses und - als Kuriosum - das Schwimmbad in der Yacht von Aristoteles
Onassis, dessen Boden man nach Ablassen des Wassers hydraulisch heben und somit
in eine Tanzfläche verwandeln konnte. Reinhold fasziniert es die Geschichte
einer Firma zu verfolgen, die verschiedene Stilepochen und politische Systeme überlebt
und mit geprägt hat.
Eine weitere Neuköllner Entdeckung: Anita Berber
(1899-1928), Skandale umwehende Nackttänzerin, die Amy Winhouse der
1920er-Jahre. Ihr Grab befand sich auf dem alten, heute stillgelegten
St.-Thomas-Friedhof an der Hermannstraße. Sie faszinierte ihr Publikum durch
Aufführungen wie: „Tänze des Lasters,
des Grauens und der Ekstase“, spielte in zahlreichen Filmen
mit, stand Modell für Otto Dix. Anita Berber wurde nur 29 Jahre alt, war
mehrmals verheiratet, drogensüchtig und mit Männern wie mit Frauen liiert. Auf
einer Tournee durch den Nahen Osten erkrankte sie schwer und konnte nur
mithilfe von Spenden aus Berliner Künstlerkreisen zurückreisen. In der Zeit der
Weimarer Republik war sie bekannt wie später Marlene Dietrich. Heute ist sie
fast vergessen, gäbe es nicht Lotti Huber, die in dem Film „Anita – Tänze des
Lasters“ von Rosa von Praunheim (1987) die Rolle der Anita Berber übernahm. Karl
Lagerfeld soll Anita Berber wegen ihrer Eigenständigkeit und Unangepasstheit
als eine der mutigsten Frauen ihrer Zeit bezeichnet haben. Im Museum Neukölln
findet man nicht ein Foto von ihrem Grabstein, bedauert Reinhold. In der
Zähringer Straße Nr. 13, wo sie mit Mutter, Großmutter und zwei Tanten in einer
Wohngemeinschaft gelebt hat, gibt es immerhin eine Gedenktafel.
(Siehe u.a.: Lothar
Fischer, Anita Berber. Tanz zwischen Rausch und Tod. 1918-1928 in Berlin.
Berlin 1996; sowie der Bildband von Lothar Fischer, Anita Berber. Königin der
Nacht. Berlin 2004)
Bei seinen Recherchen ist Reinhold irgendwann auf Engelbert Zaschka (1895-1955) gestoßen, einen
Ingenieur und Erfinder, der aus Freiburg stammt und viele Jahre in der
Selchower Straße nahe dem Tempelhofer Flugfeld gelebt hat. Zaschka zählt zu den
ersten deutschen Hubschrauberpionieren und hat das Fliegen mit Muskelkraft
ausprobiert. Auf dem Flughafengelände experimentierte er mit seinen selbst
gebauten Fluggeräten. Seine Vision von Autostaus ließ ihn ein Faltauto konstruieren,
das man zu drei Teilen zusammenklappen und wegtragen kann. Er besaß mehrere
Patente und verfasste Schriften über das Wesen des Trag- und Hubschraubers.
Kaum zu glauben, dass er auch Komponist von Unterhaltungsmusik war. 1928
schrieb er zum Beispiel
den Schlager: „Wer hat denn bloß den Hering
am Schlips mir festgemacht?“, hatte aber wenig Erfolg damit. Reinhold will
mehr wissen und fragt beim Museum in Freiburg nach. Doch dort kennt man keinen
Engelbert Zaschka und fügt hinzu: Übrigens, Freiburg habe genügend berühmte
Männer und Frauen hervorgebracht.
Das
Spektrum der Neuköllner Themen scheint unendlich zu sein. Besonders spannend
findet Reinhold die Situation der Schulen in den 1920er-Jahren und erwähnt die
Namen Kurt Löwenstein, von 1921 bis 1933 Stadtrat für Volksbildung in Neukölln,
sowie Käte Frankenthal, 1928 Schulärztin in Neukölln, die sich für wichtige
sozialistische Reformen eingesetzt haben. Sie unterstützten den Pädagogen Fritz
Karsen, Direktor des Kaiser-Friedrich-Realgymnasiums, das in
Karl-Marx-Schule umbenannt wurde, eine
Einheitsschule mit moderner Erziehung, Schulspeisung und einkommensabhängige
Schulgelder einzuführen. Durch den neuen Bildungsweg konnten auch Arbeiter das
Abitur ablegen. Neukölln war damals führend bei der Schulreform, die in ihrer
Fortschrittlichkeit bis heute nicht übertroffen wird.
Last not least muss noch unbedingt der Körnerpark genannt
werden. Im Park-Café wird Reinhold eines Tages die Quittung einer Tangoband
überreicht, die vor einigen Jahren dort auftrat, unterschrieben von „Annette
Fischer, geb. Körner, Ur-Ur-Enkelin von Franz Körner“. Wie nett! Reinhold würde
sie gern einmal kennenlernen. Franz Körner (1838-1911) ist der Erbauer des
Körnerparks, ein reich gewordener Kiesgrubenbesitzer, der den Park angelegt und
ihn später der Stadt übereignet hat. Sein Buch mit dem Titel: „Eine Fahrt ins
Wunderland, Reisebilder aus dem Jahr 1904“ kann Reinhold unbedingt empfehlen.
Ein Reprint ist im Museum Neukölln erhältlich.
Was Neukölln ausmacht, sind bestimmte Menschen, die etwas
für den Bezirk oder ihren Kiez tun. Leute wie Franz Körner, Frau Dr. Kolland, die als Amtsleiterin 33 Jahre lang für die Kultur gekämpft hat, die Bürgerstiftung und viele andere, die sich für Neukölln einsetzen. So soll
es bleiben, wünscht sich Reinhold, sein Neukölln soll nicht in der Masse der
zugezogenen jungen Leute untergehen. Und er lädt ein ins Theater „Hotel
Rixdorf“, wo er mit anderen Neuköllner*innen auftritt. Es liegt nahe dem
Böhmischen Platz, der sich zurzeit durch den Einzug großer Gaststätten und
edler Geschäfte sehr verändert. Das Theater gehört dem Schauspieler Artur
Albrecht, der dort vor 10 Jahren in einem leer stehenden Laden das
Puppentheater „Central Rixdorf“ eingerichtet hat. Jetzt ist der Platz chic, der
Laden teurer, so dass die Theaterleute das Theater zu einem Fünf-Sterne-Hotel
bestimmten und ihm den Namen „Hotel Rixdorf“ gaben. Reinhold braucht das
Theater zum Ausleben. Eigentlich sei er ein schüchterner Mensch, meint er.
Seine Erziehung verlief nach der Vorgabe: „Nur nicht auffallen, was könnten
denn die Nachbarn sagen!“ Nun hat er erkannt, dass er auffallen kann und ist
froh darüber. Seine Schauspielerkollegen sind Individualisten, dadurch
gestalten sich die Inszenierungen manchmal kompliziert. Reinhold aber findet:
„Das ist total schön.“
Und eines glaubt er tatsächlich: dass im Herzen jeder
„Neuköllner“ ist.
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