Margot Sharma: 25 Jahre Indien
Margot Sharma findet
direkt vor dem Leuchtturm einen Parkplatz. Zum Glück. Sie steigt aus ihrem Auto
und holt aus dem Kofferraum eine große Tasche. Die Beifahrerin, Susanne Werner,
trägt vorsichtig ein Päckchen. Im Laden packen sie aus: indische Saris, einer
schöner als der andere! Susanne Werner verschwindet in der Küche und verteilt
die mitgebrachten kulinarischen Köstlichkeiten aus Indien auf Teller. Margot
Sharma dekoriert einen Tisch mit den Stoffen, indischem Kunsthandwerk und pinnt
eine Landkarte an die Wand. Zur Seite steht ihr ihre Schwiegertochter Priya,
die gleich noch indischen Tee zubereiten wird. Im Nu entsteht in dem sonst eher
nüchternen Raum ein Hauch von Exotik. Die Besucher trudeln ein. Alle kosten von
den Süßigkeiten und sind
überrascht und
begeistert von den vielfältigen Geschmacksnuancen.
Margot Sharma (geb. Steinke) wird 1937 in Neukölln geboren.
Sie wächst mit drei Schwestern im Körnerkiez auf, besucht dort die Schule und
absolviert anschließend eine Ausbildung als evangelische Gemeindehelferin bei
der „Morgenländischen Frauenmission“ in Berlin-Lichterfelde. Margot ist sehr
musikalisch, spielt Klavier und interessiert sich auch für indische Musik. Bei
Dr. Biswas an der Technischen Universität lernt sie die Tampura spielen. Eines
Tages lädt ihr Lehrer sie zu den Berliner Kulturwochen ein. Dort fällt ihr
Blick auf einen jungen Inder mit markanten Gesichtszügen und dichtem schwarzen,
welligen Haar. Er trägt eine schwarze Jacke mit Stehkragen, darunter ein weißes
Hemd und sieht aus wie ein katholischer Priester. Margot spricht ihn an, denn
sie sucht für ihr Praktikum in der Kirchengemeinde immer wieder interessante
Menschen, die sie in der Jugendgruppe oder im Mütterkreis vorstellen möchte.
Vielleicht könnte der Priester etwas über die Christen in Indien berichten. Er
stimmt tatsächlich zu und erzählt ausführlich über Indien, ein Land, von dem
damals die meisten gar keine Vorstellung haben. Zum Weihnachtsfest lädt sie
Pramod, der sich längst als TU-Student vorgestellt hat, zu sich nach Hause ein, wie
auch viele andere Gemeindemitglieder einen ausländischen Gast zu sich bitten.
„Pramod nahm die Einladung an und blieb für immer“. Das war im Jahr 1957.
1959 beschließen Pramod und Margot zu heiraten. Sie wenden
sich an das für sie zuständige Standesamt Neukölln. Doch dort ist noch nie ein
deutsch-indisches Paar getraut worden, so dass der unsichere Standesbeamte sie
nach Schöneberg verweist, wo mehr Erfahrungen vorliegen. Dort will der
Standesbeamte wissen, wo Pramod geboren sei. In Dehradun. Aber Pramod hat keine
Geburtsurkunde. Auf einer alten Karte findet er den Ort. Das genügt ihm und die
beiden dürfen heiraten. Spätestens jetzt beginnt ihr „indisch-deutsches
Experiment“: ein Ehepaar - zwei Kulturen.
Einmal wird Pramod, der in einem indischen Verein aktiv ist,
zu einem Empfang in das Generalkonsulat von Indien eingeladen. Margot soll den
Sari tragen, den ihr der Schwiegervater zur Hochzeit geschenkt hat. Aber wie
legt man die fünf Meter lange Stoffbahn an? Pramod hilft ihr beim Einwickeln.
Alles sitzt. Sie eilen zur S-Bahn, um nicht zu spät zu kommen. Auf der Treppe
im Konsulat, die zum Festsaal führt, passiert es: Margot stolpert über den
Sari, die in Falten gelegte Stoffbahn löst sich. Sie eilt in die
Damentoilette, wo Pramod ihr helfen muss den Sari wieder anzulegen.
Das Paar bekommt drei Kinder, alles Jungen, die in Berlin
geboren werden: 1959, 1962, 1965. Sie erhalten schöne, bedeutungsvolle Namen:
Arya Mitra (Freundschaft), Shanti Mitra
(Frieden), Ravi Mitra (Sonnenschein). Mitra bedeutet Freund. Bei den ersten beiden Söhnen
müssen sich die Eltern vom indischen Konsulat bestätigen lassen, dass es sich
um in Indien geläufige Namen handelt. Erst dann wird die Geburtsurkunde
ausgestellt. Beim dritten Sohn hat man sich vermutlich angesichts des
zunehmenden Ausländerzuzugs an fremde Namen gewöhnt.
1963 legt Pramod sein Diplom in Maschinenbau ab. Im
hessischen Butzbach findet er seine erste Arbeitsstelle. Margot hat inzwischen
ihre Ausbildung als Gemeindehelferin abgeschlossen. Aber die Kirche will sie
nicht einstellen, weil sie mit einem Hindu und nicht mit einem Christen
verheiratet ist. Das ist eine große Enttäuschung, die sie bis heute nicht
überwunden hat. Deshalb arbeitet sie in einem städtischen Kindergarten mit
behinderten Kindern.
Die Familie zieht nach Butzbach. Die Firma, in der Pramod
arbeitet, ist dabei in Südindien eine Düngemittelfabrik zu errichten. 1965 wird
Pramod nach Neyveli im Bundesstaat Tamil Nadu geschickt, um bei der
Inbetriebnahme der Anlage zu helfen. Die Familie nimmt er natürlich mit. Gerade
ist der dritte Sohn geboren worden. Bei der Tropentauglichkeitsprüfung wäre
Pramod wegen seines hohen Blutdrucks fast durchgefallen.
Sie reisen mit dem Schiff. Der Weg führt sie von Marseille über
Ägypten und durch den Suezkanal nach Bombay. Während Pramod seekrank ist, kann
Margot mit dem Baby auf dem Arm die Seefahrt richtig genießen. Auf dem Schiff
lernt sie eine Studentin kennen, die ihr ein paar Worte Englisch beibringt.
Dafür darf die junge Frau ab und zu den kleinen Sohn betreuen. Auch zeigt sie
ihr, wie man in Indien richtig grüßt. Pramod wollte ihr das nie vormachen und
sagte nur: Du machst es einfach genauso wie ich. In Port Said kann Margot wegen
ihres kranken Mannes leider nicht mit den anderen Passagieren von Bord gehen,
um sich die Pyramiden von Kairo anzuschauen. Aber in Aden ist er wieder gesund,
und die ganze Familie macht einen Landausflug. Sie erlebt wie Pramod, der ihr einen Badeanzug kaufen
möchte, mit dem Verkäufer um den Preis feilscht. Es dauert Stunden bis sie sich
einigen. Und Margot lernt ihre erste Lektion: „Wer Geld sparen will, muss handeln. Und wer handelt,
braucht Zeit.“
In Bombay werden sie von einem Schwager Pramods erwartet,
der sie zum Hotel begleitet. Das Taxi nimmt inmitten des ungewohnten und chaotischen
Linksverkehrs Tempo auf, so dass Margot Hören und Sehen vergeht. Verängstigt
hält sie das Baby fest. In Bombay nehmen sie den Zug, der sie in den Norden
Indiens führt, weil Pramod erst einmal seinem Vater seine Familie vorstellen
möchte. Dann geschieht das, was Margot längst befürchtet hat: Bei der Zugeinfahrt
in den Hauptbahnhof von Mathura verschwindet Pramod in der Toilette und später
im Gepäckwagen, um die Koffer und den Kinderwagen zu holen, und Margot steht
mit den Kindern allein im Bahnhofsgewimmel. Für die zahlreich erschienene
Familie von Pramod ist es ein Leichtes Margot als einzige Europäerin auf dem
Bahnsteig zu erkennen. Sie machen sich bemerkbar und Margot reagiert spontan
mit dem auf dem Schiff gelernten Gruß. Sie beugt sich vor ihrem Schwiegervater
nieder, um in Ehrerbietung seine Füße zu berühren. Dann richtet sie sich auf
und legt ihre Hände zum indischen Gruß zusammen: „Namaste“. Damit, und mit den drei
männlichen Nachkommen an ihrer Seite beeindruckt sie ihren Schwiegervater so
tief, dass er sie sofort in sein Herz schließt.
Später in Neyvily/Südindien lebt sich Margot allmählich ein;
aber an die Ungeziefer, Geckos, Fledermäuse und springende Schlangen muss sie
sich erst gewöhnen. Pramos hat traditionelle Kordelbetten (Charpoys) angeschafft,
die er auf die Terrasse stellt, denn er schläft bei der Hitze gern im Freien.
Margot findet das Schlafen unter dem Moskitonetz in den geräuschvollen
subtropischen Nächten nicht sehr romantisch.
Trotz der großen Familie hat Margot Zeit übrig, die sie
sinnvoll nutzen möchte. Die Kinder sind morgens in der Schule, im Kindergarten
und der Kleine hat eine Kinderfrau; es gibt einen Koch und einen Gärtner. Pramod
ist oft dienstlich verreist. Margot hat erfahren, dass im Städtischen
Krankenhaus Personalmangel herrscht. Dort könnte sie doch helfen. Mit ihrem
spärlichen Englisch fragt sie, ob sie die Babies baden dürfte. Dafür sollte man
ihr zeigen, wie man Babies entbindet. Seitdem verbringt Margot jeden Vormittag
im Krankenhaus, badet die Neugeborenen und assistiert bei den Geburten. Margot
gewinnt das Vertrauen der jungen Mütter. Sie sieht deren Armut und dass sie
sich keine Babyausstattung anschaffen können. So nutzt sie ihre guten Kontakte
bei der deutschen Community und sammelt dort Geld, um Babysachen nähen zu
lassen.
1966 endet Pramods Arbeitsauftrag in Neyvily. Margot und
Pramod beschließen mit den Kindern in Indien zu bleiben. Die Kinder sollen dort
zur Schule gehen. Pramod bekommt eine Stelle als leitender Ingenieur für
Düngemittelanlagen in ganz Indien, und die Familie zieht nach Udyogamandal in Kerala,
wo ihr in ein Haus auf dem Firmengelände von FACT zur Verfügung gestellt wird.
Fast alle Einwohner der kleinen Stadt sind bei FACT beschäftigt. Im Garten gibt
es Kokos- und Ananaspalmen, einen großen Mangobaum, auch Hühner, und das
Gelände geht in eine Bananenplantage über. Margot schließt Freundschaft mit den
Nachbarinnen, welche eifrig bemüht sind ihr zu zeigen, wie man indisch kocht.
Alle diese wunderbaren Gewürze und Zutaten sind neu für Margot. Berlin war ja
damals – kulinarisch gesehen – eine Wüste! Und in Neyvily hat ihr ein Koch
geholfen. Über ihre immer besser werdenden Kochkünste – Fisch mit Kokosmilch, Sambar
mit „Drumsticks“, Kokos-Chutney – freut sich Pramod sehr. Und sie lernt, wie
wahr der Spruch doch ist: „Liebe geht durch den Magen“. Eine neue Anschaffung
beschert der Familie ein weiteres neues Lebensgefühl: ein Auto, und zwar ein
„Ambassador“, ein indisches Luxus-Auto! Jetzt können sie endlich reisen und das
riesige Land erkunden. Sie fahren u.a. in die Berge des Nilgiris, besuchen das
Elefantenreservat in Thekali, die Teeplantagen im Hochland, den Indischen Ozean
bei Trivandrum, die Südspitze Indiens, wo zwei Ozeane zusammentreffen. Ihre
längste und abenteuerlichste Reise führt sie von Cochin über Bangladore,
Hyderabad, Nagpur, Sagar, Agra, Delhi nach Jaipur, zurück über Bombay nach Goa
und durch die Berge nach Cochin. Alles über holprige Landstraßen; es gibt noch
keine Autobahnen. Rast machen sie wie die Lastwagenfahrer in simplen
Gaststätten, und die Nächte werden auf Charpoys verbracht. Gelegentliche Pannen
erfordern höchstes Improvisationstalent. Auf dieser Reise legen sie 6000
Kilometer zurück.
Es folgen zwei Jahre in Bombay, wo sich Margot besonders
wohlfühlt. Die großen öffentlichen Doppeldeckerbusse erinnern sie an Berlin. Die
Familie wohnt im 16. Stock eines Wohnhochhauses. Es ist die Zeit des kurzen
Kriegs zwischen Indien und Pakistan. Nachts müssen die Fenster verdunkelt werden;
kleine Leuchtkugeln steigen auf und von Ferne hört man Sirenen. Margot ist, wie
so oft, mit den Kindern allein zu Haus und hat panische Angst. Plötzlich fühlt
sie sich wie in den Neuköllner Bombennächten von 1944/45, die sie im
Luftschutzkeller verbracht hat. Aber ein Freund, hohes Mitglied des indischen
Militärs, der sie besucht, kann sie beruhigen: Bombay ist nicht in Gefahr. Die
Flugzeuge fliegen nach Bengalen. Wenig später trennt sich Indien von
Bangladesh.
1972 macht sich Pramod selbstständig, gründet die Firma
„Petrochemical Engineering Co.(P)Ltd. und berät bis 2012/13 sehr erfolgreich
europäische, amerikanische und indische Firmen neben noch vielen anderen
Aufgaben. Die Familie zieht nach New Delhi in ein großes, weitläufiges Haus mit
vielen Zimmern, sieben Bädern und einem herrlichen Dachgarten. Jedes Kind
bekommt sein eigenes Reich. Das Haus ist
in einem großen Garten eingebettet und ringsum von einer Mauer umgeben. Die
Kinder gehen - wie auch in den anderen Städten - auf eine englischsprachige
Schule. Der Schuldirektor verlangt, dass Arya, der Älteste, auch noch Sanskrit
lernen soll. Das kann Margot schließlich abwenden, nachdem sie sich vom Direktor
eines deutschen Instituts bescheinigen lässt, dass ihr Sohn bereits fließend
Deutsch spricht. Seit ihrem Schuleintritt haben die Kinder bereits Tamil,
Malayalam, Maharati gelernt, und in Delhi steht noch die Amtssprache Hindi an.
Noch eine Sprache würde sie überfordern. Allerdings spricht in Indien jeder
außer Englisch mindestens zwei bis drei indische Sprachen.
1975 kauft Pramod vor den Toren der Stadt ein Stück
Farmland, errichtet darauf ein kleines Haus, pflanzt Bäume und legt einen
Rosengarten sowie eine große Rasenfläche an. Diese Farm wird für viele Jahre
Zufluchtsort und Familienmittelpunkt. Margot legt sich 5000 Hühner zu. Trotz
liebevoller Pflege gehen fast alle Tiere an der Hühnerkrankheit ein.
1976 erkrankt der älteste Sohn schwer. Amöben zersetzen
seine Leber. Margot muss mit ihren drei Söhnen nach Deutschland zurück. Sie
sollen dort ihr Abitur machen. In Butzbach/Hessen versuchen sie sich wieder
einzuleben, während Pramod 1977 in der neuen Stadt Noida in Nordindien seine
neue Firma „Apparatebau“ gründet, die riesige Behälter aus Edelstahl für Milch,
Diesel etc. herstellt. In Indien kann er viel billiger produzieren als die Konkurrenzfirmen in Deutschland und ist somit erneut erfolgreich. Pramod kauft
für seine Familie in ein Haus in Langgöns, und die beiden älteren Jungen
schließen die Schule ab. Pramod und Margot pendeln zwischen Indien und Hessen.
Die spätere Bilanz: Pramod hätte mit seinen Flugkilometern 17 mal die Erde
umrunden können.
Schon seit langer Zeit hat Margot die Idee Kunsthandwerk aus
Indien in Deutschland zu verkaufen. Jetzt hat sie Zeit sich darum zu kümmern.
In Delhi kauft sie Holzgeschnitztes aus Saharanpur, Marmordöschen aus Agra,
Teppiche aus Benares und Jaipur sowie Seidentücher, Schmuck und Kleidung. Sie
mietet Räume an und veranstaltet Basare. Gleichzeitig wird sie zur Anlaufstelle
für Indienfragen. Es kommen Menschen, die Kinder adoptieren wollen, oder auch
Reisende, die Tipps brauchen. Ende der 1970er-Jahre beginnen die Deutschen in
die Ferne zu reisen; die Hippiebewegung ist Mode, und viele lieben das indische
Kunsthandwerk. Margot eröffnet ein Geschäft, dem zwei weitere folgen. Sie laufen
hervorragend, so dass sie diese 1982, als sie wieder mit ihrem jüngsten Sohn
Ravi zurück nach Neu Delhi geht, mit Gewinn verkaufen kann. Die großen Söhne
beginnen mit dem Studium in Berlin. Ravi macht an der Deutschen Schule in Neu
Delhi die Mittlere Reife und fliegt danach allein nach Hessen, um in Gießen das
Gymnasium zu besuchen und sein Abitur abzulegen. Das zu akzeptieren ist für
Margot nicht leicht. Aber sie sieht ein, dass auch der Jüngste erwachsen geworden
ist. Pramod hat jetzt ein Büro in Neu Delhi, von dem aus er seine verschiedenen
Firmen, zwei davon in Noida und Dehradun, steuert. Margot ist nun die Frau
eines erfolgreichen Geschäftsmannes.
Doch nicht nur Familie und Geschäft zählen zum Lebensinhalt
von Margot und Pramod, sondern auch soziales Engagement. Sie finanzieren
verschiedene Stiftungen, die Menschen in Not helfen sollen. In einem dieser
Projekte erhalten Menschen ein wenig Geld, um sich eine Kuh kaufen oder
Gladiolen züchten zu können, um vom Erlös der Milch oder der Blumen etwas für den Lebensunterhalt zu verdienen. In einem
anderen Projekt ist es die Förderung einer Schule, in der gehörlose Kinder aus
einem Slum mit Hörgeräten versorgt und unterrichtet werden. Gemeinsam mit
gesunden Schülern werden Bilder gemalt, diese ausgestellt und schließlich als
Postkarten reproduziert, um sie zu verkaufen und Spenden einzuwerben. Pramod
ist ein verantwortungsvoller Arbeitgeber und sorgt dafür, dass jeder Arbeiter
in der Fabrik oder im Haushalt krankenversichert ist, denn es gibt keine
staatliche Versicherung.
1984 gibt es bei der Fabrik in Dehradun, die 1978 gegründet
wurde, Schwierigkeiten, so dass sich Pramod persönlich um den Betrieb kümmern
muss. So ziehen Pramod und Margot wieder um und wohnen auf dem Fabrikgelände
hoch auf dem Berg in wunderbarer Umgebung. Aber in der Anlage werden Pestizide
hergestellt, und Margot, die am wenigsten ihren Wohnort verlässt, wird nach
mehreren Monaten schwer krank. Deshalb belastet sie die Nachricht des Mordes an
Indira Ghandi am 31. Oktober 1984 besonders schwer. Bei den Klängen der
indischen Santoor, einer Art Zither, findet sie Ruhe und Trost. Auch auf der
Familienfarm in Delhi kann sie sich erholen. Trotzdem ist es für ihre
Gesundheit besser wieder in Deutschland zu leben.
Die kommenden zehn Jahre, von 1986 bis 1996, verbringt
Margot in ihrem Haus in Langgöns. Pramod bleibt in Indien, muss sich um seine
Firmen, aber auch um seine alten Eltern und seine Schwestern kümmern. Die
beiden besuchen sich gegenseitig, wann immer es möglich ist. Auch in Langgöns
hilft Margot, wo es nötig ist: bei der häuslichen Altenpflege, bei Menschen mit
Problemen. 1993 ein Lichtblick, der neuen Aufschwung bringt: Shanti, der zweite
Sohn, siedelt mit seiner Frau Priya und den beiden Töchtern nach Deutschland über.
Von 1996 an entledigt sich Pramod schrittweise seiner
geschäftlichen Verpflichtungen. Margot und Pramod beschließen wieder nach
Berlin in Margots alte Heimat zu ziehen. Nach dem Mauerfall ist Berlin wieder
spannend. Auch Sohn Arya wohnt inzwischen mit Familie in Berlin. Sie beziehen
ein Reihenhaus in Lichtenrade und treffen die vielen alten Freunde wieder. Es
soll aber nicht der endgültige Ruhesitz werden: Arya geht zwar mit
seiner Familie nach Kanada, aber Shanti und Priya leben mit ihren inzwischen
drei Töchtern in Hamburg. Als bewusste Großeltern wollen Margot und Pramod in der Nähe der
Enkelinnen sein und ziehen von 2007 bis 2011 ebenfalls nach Hamburg. Als sie
weniger gebraucht werden überkommt sie wieder die Sehnsucht nach Berlin. Sie
vermissen ihre Freunde. Und als man Shanti eine neue Stelle in Wien anbietet,
packen Margot und Pramod erneut ihre Kisten...
Sie finden ein wunderbares kleines Haus in Rudow, Berlin-Neukölln,
wo sie wohl endgültig angekommen sind, und genießen ihren großen Familien- und Freundeskreis.
Margot engagiert sich natürlich auch in Neukölln, unterstützt das Museum mit
ihren Erfahrungen aus ihrer Neuköllner Kindheit. Sie sammelt Puppen und
schreibt ihre Erinnerungen auf. Pramod hat noch mit den letzten Abwicklungen in
Indien zu tun und freut sich, dass sein Sohn Shanti sich beruflich in Indien
engagiert. Ihre Familie mit den drei Söhnen, den Ehefrauen, 11 Enkeln und 3
Urenkeln hält sie zusätzlich auf Trab.
Anschließend an diesen
beeindruckenden Bericht dürfen wir uns die Saris und Kunstgegenstände genauer
ansehen. Schwiegertochter Priya wickelt einen blauen Seidensari um Bettina
Stahn, der ihr sehr gut steht. Wir haben einen Moment Zeit über Margot Sharmas
Geschichte nachzudenken. Wie die beiden das geschafft haben, all diese Widrigkeiten
und Herausforderungen zu meistern! Zum 80. Geburtstag von Pramod hat Margot ein
Fotobuch über ihr gemeinsames Leben zusammengestellt. Wir dürfen einen Blick
hineinwerfen. Zum Schluss schreibt Margot, dass sie beide wohl nicht als
Lebenskünstler geboren wurden, aber im Lauf der Jahrzehnte gelernt haben, sich
auf die jeweiligen Gegebenheiten einzustellen. „Unsere unerschütterliche Liebe
füreinander sowie das gegenseitige Vertrauen bildeten dafür das Fundament...im
Lebensalltag war es oft der Humor, der uns half, die Dinge nicht allzu ernst zu
nehmen.“
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