Dienstag, 4. Oktober 2016

20. Erzählcafé im Körnerkiez

Donnerstag, 15. September 2016

Margot Sharma: 25 Jahre Indien

Margot Sharma findet direkt vor dem Leuchtturm einen Parkplatz. Zum Glück. Sie steigt aus ihrem Auto und holt aus dem Kofferraum eine große Tasche. Die Beifahrerin, Susanne Werner, trägt vorsichtig ein Päckchen. Im Laden packen sie aus: indische Saris, einer schöner als der andere! Susanne Werner verschwindet in der Küche und verteilt die mitgebrachten kulinarischen Köstlichkeiten aus Indien auf Teller. Margot Sharma dekoriert einen Tisch mit den Stoffen, indischem Kunsthandwerk und pinnt eine Landkarte an die Wand. Zur Seite steht ihr ihre Schwiegertochter Priya, die gleich noch indischen Tee zubereiten wird. Im Nu entsteht in dem sonst eher nüchternen Raum ein Hauch von Exotik. Die Besucher trudeln ein. Alle kosten von den Süßigkeiten und sind
überrascht und begeistert von den vielfältigen Geschmacksnuancen.

Margot Sharma (geb. Steinke) wird 1937 in Neukölln geboren. Sie wächst mit drei Schwestern im Körnerkiez auf, besucht dort die Schule und absolviert anschließend eine Ausbildung als evangelische Gemeindehelferin bei der „Morgenländischen Frauenmission“ in Berlin-Lichterfelde. Margot ist sehr musikalisch, spielt Klavier und interessiert sich auch für indische Musik. Bei Dr. Biswas an der Technischen Universität lernt sie die Tampura spielen. Eines Tages lädt ihr Lehrer sie zu den Berliner Kulturwochen ein. Dort fällt ihr Blick auf einen jungen Inder mit markanten Gesichtszügen und dichtem schwarzen, welligen Haar. Er trägt eine schwarze Jacke mit Stehkragen, darunter ein weißes Hemd und sieht aus wie ein katholischer Priester. Margot spricht ihn an, denn sie sucht für ihr Praktikum in der Kirchengemeinde immer wieder interessante Menschen, die sie in der Jugendgruppe oder im Mütterkreis vorstellen möchte. Vielleicht könnte der Priester etwas über die Christen in Indien berichten. Er stimmt tatsächlich zu und erzählt ausführlich über Indien, ein Land, von dem damals die meisten gar keine Vorstellung haben. Zum Weihnachtsfest lädt sie Pramod, der sich längst als TU-Student vorgestellt hat, zu sich nach Hause ein, wie auch viele andere Gemeindemitglieder einen ausländischen Gast zu sich bitten. „Pramod nahm die Einladung an und blieb für immer“. Das war im Jahr 1957.

1959 beschließen Pramod und Margot zu heiraten. Sie wenden sich an das für sie zuständige Standesamt Neukölln. Doch dort ist noch nie ein deutsch-indisches Paar getraut worden, so dass der unsichere Standesbeamte sie nach Schöneberg verweist, wo mehr Erfahrungen vorliegen. Dort will der Standesbeamte wissen, wo Pramod geboren sei. In Dehradun. Aber Pramod hat keine Geburtsurkunde. Auf einer alten Karte findet er den Ort. Das genügt ihm und die beiden dürfen heiraten. Spätestens jetzt beginnt ihr „indisch-deutsches Experiment“: ein Ehepaar - zwei Kulturen.

Einmal wird Pramod, der in einem indischen Verein aktiv ist, zu einem Empfang in das Generalkonsulat von Indien eingeladen. Margot soll den Sari tragen, den ihr der Schwiegervater zur Hochzeit geschenkt hat. Aber wie legt man die fünf Meter lange Stoffbahn an? Pramod hilft ihr beim Einwickeln. Alles sitzt. Sie eilen zur S-Bahn, um nicht zu spät zu kommen. Auf der Treppe im Konsulat, die zum Festsaal führt, passiert es: Margot stolpert über den Sari, die in Falten gelegte Stoffbahn löst sich. Sie eilt in die
Damentoilette, wo Pramod ihr helfen muss den Sari wieder anzulegen.

Das Paar bekommt drei Kinder, alles Jungen, die in Berlin geboren werden: 1959, 1962, 1965. Sie erhalten schöne, bedeutungsvolle Namen: Arya Mitra (Freundschaft), Shanti Mitra (Frieden), Ravi Mitra (Sonnenschein). Mitra bedeutet Freund. Bei den ersten beiden Söhnen müssen sich die Eltern vom indischen Konsulat bestätigen lassen, dass es sich um in Indien geläufige Namen handelt. Erst dann wird die Geburtsurkunde ausgestellt. Beim dritten Sohn hat man sich vermutlich angesichts des zunehmenden Ausländerzuzugs an fremde Namen gewöhnt.

1963 legt Pramod sein Diplom in Maschinenbau ab. Im hessischen Butzbach findet er seine erste Arbeitsstelle. Margot hat inzwischen ihre Ausbildung als Gemeindehelferin abgeschlossen. Aber die Kirche will sie nicht einstellen, weil sie mit einem Hindu und nicht mit einem Christen verheiratet ist. Das ist eine große Enttäuschung, die sie bis heute nicht überwunden hat. Deshalb arbeitet sie in einem städtischen Kindergarten mit behinderten Kindern.

Die Familie zieht nach Butzbach. Die Firma, in der Pramod arbeitet, ist dabei in Südindien eine Düngemittelfabrik zu errichten. 1965 wird Pramod nach Neyveli im Bundesstaat Tamil Nadu geschickt, um bei der Inbetriebnahme der Anlage zu helfen. Die Familie nimmt er natürlich mit. Gerade ist der dritte Sohn geboren worden. Bei der Tropentauglichkeitsprüfung wäre Pramod wegen seines hohen Blutdrucks fast durchgefallen.

Sie reisen mit dem Schiff. Der Weg führt sie von Marseille über Ägypten und durch den Suezkanal nach Bombay. Während Pramod seekrank ist, kann Margot mit dem Baby auf dem Arm die Seefahrt richtig genießen. Auf dem Schiff lernt sie eine Studentin kennen, die ihr ein paar Worte Englisch beibringt. Dafür darf die junge Frau ab und zu den kleinen Sohn betreuen. Auch zeigt sie ihr, wie man in Indien richtig grüßt. Pramod wollte ihr das nie vormachen und sagte nur: Du machst es einfach genauso wie ich. In Port Said kann Margot wegen ihres kranken Mannes leider nicht mit den anderen Passagieren von Bord gehen, um sich die Pyramiden von Kairo anzuschauen. Aber in Aden ist er wieder gesund, und die ganze Familie macht einen Landausflug. Sie erlebt  wie Pramod, der ihr einen Badeanzug kaufen möchte, mit dem Verkäufer um den Preis feilscht. Es dauert Stunden bis sie sich einigen. Und Margot lernt ihre erste Lektion: „Wer Geld sparen will, muss handeln. Und wer handelt, braucht Zeit.“

In Bombay werden sie von einem Schwager Pramods erwartet, der sie zum Hotel begleitet. Das Taxi nimmt inmitten des ungewohnten und chaotischen Linksverkehrs Tempo auf, so dass Margot Hören und Sehen vergeht. Verängstigt hält sie das Baby fest. In Bombay nehmen sie den Zug, der sie in den Norden Indiens führt, weil Pramod erst einmal seinem Vater seine Familie vorstellen möchte. Dann geschieht das, was Margot längst befürchtet hat: Bei der Zugeinfahrt in den Hauptbahnhof von Mathura verschwindet Pramod in der Toilette und später im Gepäckwagen, um die Koffer und den Kinderwagen zu holen, und Margot steht mit den Kindern allein im Bahnhofsgewimmel. Für die zahlreich erschienene Familie von Pramod ist es ein Leichtes Margot als einzige Europäerin auf dem Bahnsteig zu erkennen. Sie machen sich bemerkbar und Margot reagiert spontan mit dem auf dem Schiff gelernten Gruß. Sie beugt sich vor ihrem Schwiegervater nieder, um in Ehrerbietung seine Füße zu berühren. Dann richtet sie sich auf und legt ihre Hände zum indischen Gruß zusammen: „Namaste“. Damit, und mit den drei männlichen Nachkommen an ihrer Seite beeindruckt sie ihren Schwiegervater so tief, dass er sie sofort in sein Herz schließt.

Später in Neyvily/Südindien lebt sich Margot allmählich ein; aber an die Ungeziefer, Geckos, Fledermäuse und springende Schlangen muss sie sich erst gewöhnen. Pramos hat traditionelle Kordelbetten (Charpoys) angeschafft, die er auf die Terrasse stellt, denn er schläft bei der Hitze gern im Freien. Margot findet das Schlafen unter dem Moskitonetz in den geräuschvollen subtropischen Nächten nicht sehr romantisch.

Trotz der großen Familie hat Margot Zeit übrig, die sie sinnvoll nutzen möchte. Die Kinder sind morgens in der Schule, im Kindergarten und der Kleine hat eine Kinderfrau; es gibt einen Koch und einen Gärtner. Pramod ist oft dienstlich verreist. Margot hat erfahren, dass im Städtischen Krankenhaus Personalmangel herrscht. Dort könnte sie doch helfen. Mit ihrem spärlichen Englisch fragt sie, ob sie die Babies baden dürfte. Dafür sollte man ihr zeigen, wie man Babies entbindet. Seitdem verbringt Margot jeden Vormittag im Krankenhaus, badet die Neugeborenen und assistiert bei den Geburten. Margot gewinnt das Vertrauen der jungen Mütter. Sie sieht deren Armut und dass sie sich keine Babyausstattung anschaffen können. So nutzt sie ihre guten Kontakte bei der deutschen Community und sammelt dort Geld, um Babysachen nähen zu lassen.

1966 endet Pramods Arbeitsauftrag in Neyvily. Margot und Pramod beschließen mit den Kindern in Indien zu bleiben. Die Kinder sollen dort zur Schule gehen. Pramod bekommt eine Stelle als leitender Ingenieur für Düngemittelanlagen in ganz Indien, und die Familie zieht nach Udyogamandal in Kerala, wo ihr in ein Haus auf dem Firmengelände von FACT zur Verfügung gestellt wird. Fast alle Einwohner der kleinen Stadt sind bei FACT beschäftigt. Im Garten gibt es Kokos- und Ananaspalmen, einen großen Mangobaum, auch Hühner, und das Gelände geht in eine Bananenplantage über. Margot schließt Freundschaft mit den Nachbarinnen, welche eifrig bemüht sind ihr zu zeigen, wie man indisch kocht. Alle diese wunderbaren Gewürze und Zutaten sind neu für Margot. Berlin war ja damals – kulinarisch gesehen – eine Wüste! Und in Neyvily hat ihr ein Koch geholfen. Über ihre immer besser werdenden Kochkünste – Fisch mit Kokosmilch, Sambar mit „Drumsticks“, Kokos-Chutney – freut sich Pramod sehr. Und sie lernt, wie wahr der Spruch doch ist: „Liebe geht durch den Magen“. Eine neue Anschaffung beschert der Familie ein weiteres neues Lebensgefühl: ein Auto, und zwar ein „Ambassador“, ein indisches Luxus-Auto! Jetzt können sie endlich reisen und das riesige Land erkunden. Sie fahren u.a. in die Berge des Nilgiris, besuchen das Elefantenreservat in Thekali, die Teeplantagen im Hochland, den Indischen Ozean bei Trivandrum, die Südspitze Indiens, wo zwei Ozeane zusammentreffen. Ihre längste und abenteuerlichste Reise führt sie von Cochin über Bangladore, Hyderabad, Nagpur, Sagar, Agra, Delhi nach Jaipur, zurück über Bombay nach Goa und durch die Berge nach Cochin. Alles über holprige Landstraßen; es gibt noch keine Autobahnen. Rast machen sie wie die Lastwagenfahrer in simplen Gaststätten, und die Nächte werden auf Charpoys verbracht. Gelegentliche Pannen erfordern höchstes Improvisationstalent. Auf dieser Reise legen sie 6000 Kilometer zurück.

Es folgen zwei Jahre in Bombay, wo sich Margot besonders wohlfühlt. Die großen öffentlichen Doppeldeckerbusse erinnern sie an Berlin. Die Familie wohnt im 16. Stock eines Wohnhochhauses. Es ist die Zeit des kurzen Kriegs zwischen Indien und Pakistan. Nachts müssen die Fenster verdunkelt werden; kleine Leuchtkugeln steigen auf und von Ferne hört man Sirenen. Margot ist, wie so oft, mit den Kindern allein zu Haus und hat panische Angst. Plötzlich fühlt sie sich wie in den Neuköllner Bombennächten von 1944/45, die sie im Luftschutzkeller verbracht hat. Aber ein Freund, hohes Mitglied des indischen Militärs, der sie besucht, kann sie beruhigen: Bombay ist nicht in Gefahr. Die Flugzeuge fliegen nach Bengalen. Wenig später trennt sich Indien von Bangladesh.

1972 macht sich Pramod selbstständig, gründet die Firma „Petrochemical Engineering Co.(P)Ltd. und berät bis 2012/13 sehr erfolgreich europäische, amerikanische und indische Firmen neben noch vielen anderen Aufgaben. Die Familie zieht nach New Delhi in ein großes, weitläufiges Haus mit vielen Zimmern, sieben Bädern und einem herrlichen Dachgarten. Jedes Kind bekommt sein eigenes Reich. Das Haus ist in einem großen Garten eingebettet und ringsum von einer Mauer umgeben. Die Kinder gehen - wie auch in den anderen Städten - auf eine englischsprachige Schule. Der Schuldirektor verlangt, dass Arya, der Älteste, auch noch Sanskrit lernen soll. Das kann Margot schließlich abwenden, nachdem sie sich vom Direktor eines deutschen Instituts bescheinigen lässt, dass ihr Sohn bereits fließend Deutsch spricht. Seit ihrem Schuleintritt haben die Kinder bereits Tamil, Malayalam, Maharati gelernt, und in Delhi steht noch die Amtssprache Hindi an. Noch eine Sprache würde sie überfordern. Allerdings spricht in Indien jeder außer Englisch mindestens zwei bis drei indische Sprachen.

1975 kauft Pramod vor den Toren der Stadt ein Stück Farmland, errichtet darauf ein kleines Haus, pflanzt Bäume und legt einen Rosengarten sowie eine große Rasenfläche an. Diese Farm wird für viele Jahre Zufluchtsort und Familienmittelpunkt. Margot legt sich 5000 Hühner zu. Trotz liebevoller Pflege gehen fast alle Tiere an der Hühnerkrankheit ein.

1976 erkrankt der älteste Sohn schwer. Amöben zersetzen seine Leber. Margot muss mit ihren drei Söhnen nach Deutschland zurück. Sie sollen dort ihr Abitur machen. In Butzbach/Hessen versuchen sie sich wieder einzuleben, während Pramod 1977 in der neuen Stadt Noida in Nordindien seine neue Firma „Apparatebau“ gründet, die riesige Behälter aus Edelstahl für Milch, Diesel etc. herstellt. In Indien kann er viel billiger produzieren als die Konkurrenzfirmen in Deutschland und ist somit erneut erfolgreich. Pramod kauft für seine Familie in ein Haus in Langgöns, und die beiden älteren Jungen schließen die Schule ab. Pramod und Margot pendeln zwischen Indien und Hessen. Die spätere Bilanz: Pramod hätte mit seinen Flugkilometern 17 mal die Erde umrunden können.

Schon seit langer Zeit hat Margot die Idee Kunsthandwerk aus Indien in Deutschland zu verkaufen. Jetzt hat sie Zeit sich darum zu kümmern. In Delhi kauft sie Holzgeschnitztes aus Saharanpur, Marmordöschen aus Agra, Teppiche aus Benares und Jaipur sowie Seidentücher, Schmuck und Kleidung. Sie mietet Räume an und veranstaltet Basare. Gleichzeitig wird sie zur Anlaufstelle für Indienfragen. Es kommen Menschen, die Kinder adoptieren wollen, oder auch Reisende, die Tipps brauchen. Ende der 1970er-Jahre beginnen die Deutschen in die Ferne zu reisen; die Hippiebewegung ist Mode, und viele lieben das indische Kunsthandwerk. Margot eröffnet ein Geschäft, dem zwei weitere folgen. Sie laufen hervorragend, so dass sie diese 1982, als sie wieder mit ihrem jüngsten Sohn Ravi zurück nach Neu Delhi geht, mit Gewinn verkaufen kann. Die großen Söhne beginnen mit dem Studium in Berlin. Ravi macht an der Deutschen Schule in Neu Delhi die Mittlere Reife und fliegt danach allein nach Hessen, um in Gießen das Gymnasium zu besuchen und sein Abitur abzulegen. Das zu akzeptieren ist für Margot nicht leicht. Aber sie sieht ein, dass auch der Jüngste erwachsen geworden ist. Pramod hat jetzt ein Büro in Neu Delhi, von dem aus er seine verschiedenen Firmen, zwei davon in Noida und Dehradun, steuert. Margot ist nun die Frau eines erfolgreichen Geschäftsmannes.

Doch nicht nur Familie und Geschäft zählen zum Lebensinhalt von Margot und Pramod, sondern auch soziales Engagement. Sie finanzieren verschiedene Stiftungen, die Menschen in Not helfen sollen. In einem dieser Projekte erhalten Menschen ein wenig Geld, um sich eine Kuh kaufen oder Gladiolen züchten zu können, um vom Erlös der Milch oder der Blumen etwas für den Lebensunterhalt  zu verdienen. In einem anderen Projekt ist es die Förderung einer Schule, in der gehörlose Kinder aus einem Slum mit Hörgeräten versorgt und unterrichtet werden. Gemeinsam mit gesunden Schülern werden Bilder gemalt, diese ausgestellt und schließlich als Postkarten reproduziert, um sie zu verkaufen und Spenden einzuwerben. Pramod ist ein verantwortungsvoller Arbeitgeber und sorgt dafür, dass jeder Arbeiter in der Fabrik oder im Haushalt krankenversichert ist, denn es gibt keine staatliche Versicherung.

1984 gibt es bei der Fabrik in Dehradun, die 1978 gegründet wurde, Schwierigkeiten, so dass sich Pramod persönlich um den Betrieb kümmern muss. So ziehen Pramod und Margot wieder um und wohnen auf dem Fabrikgelände hoch auf dem Berg in wunderbarer Umgebung. Aber in der Anlage werden Pestizide hergestellt, und Margot, die am wenigsten ihren Wohnort verlässt, wird nach mehreren Monaten schwer krank. Deshalb belastet sie die Nachricht des Mordes an Indira Ghandi am 31. Oktober 1984 besonders schwer. Bei den Klängen der indischen Santoor, einer Art Zither, findet sie Ruhe und Trost. Auch auf der Familienfarm in Delhi kann sie sich erholen. Trotzdem ist es für ihre Gesundheit besser wieder in Deutschland zu leben.

Die kommenden zehn Jahre, von 1986 bis 1996, verbringt Margot in ihrem Haus in Langgöns. Pramod bleibt in Indien, muss sich um seine Firmen, aber auch um seine alten Eltern und seine Schwestern kümmern. Die beiden besuchen sich gegenseitig, wann immer es möglich ist. Auch in Langgöns hilft Margot, wo es nötig ist: bei der häuslichen Altenpflege, bei Menschen mit Problemen. 1993 ein Lichtblick, der neuen Aufschwung bringt: Shanti, der zweite Sohn, siedelt mit seiner Frau Priya und den beiden Töchtern nach Deutschland über.

Von 1996 an entledigt sich Pramod schrittweise seiner geschäftlichen Verpflichtungen. Margot und Pramod beschließen wieder nach Berlin in Margots alte Heimat zu ziehen. Nach dem Mauerfall ist Berlin wieder spannend. Auch Sohn Arya wohnt inzwischen mit Familie in Berlin. Sie beziehen ein Reihenhaus in Lichtenrade und treffen die vielen alten Freunde wieder. Es soll aber nicht der endgültige Ruhesitz werden: Arya geht zwar mit seiner Familie nach Kanada, aber Shanti und Priya leben mit ihren inzwischen drei Töchtern in Hamburg. Als bewusste Großeltern wollen Margot und Pramod in der Nähe der Enkelinnen sein und ziehen von 2007 bis 2011 ebenfalls nach Hamburg. Als sie weniger gebraucht werden überkommt sie wieder die Sehnsucht nach Berlin. Sie vermissen ihre Freunde. Und als man Shanti eine neue Stelle in Wien anbietet, packen Margot und Pramod erneut ihre Kisten...

Sie finden ein wunderbares kleines Haus in Rudow, Berlin-Neukölln, wo sie wohl endgültig angekommen sind, und genießen ihren großen Familien- und Freundeskreis. Margot engagiert sich natürlich auch in Neukölln, unterstützt das Museum mit ihren Erfahrungen aus ihrer Neuköllner Kindheit. Sie sammelt Puppen und schreibt ihre Erinnerungen auf. Pramod hat noch mit den letzten Abwicklungen in Indien zu tun und freut sich, dass sein Sohn Shanti sich beruflich in Indien engagiert. Ihre Familie mit den drei Söhnen, den Ehefrauen, 11 Enkeln und 3 Urenkeln hält sie zusätzlich auf Trab.

Anschließend an diesen beeindruckenden Bericht dürfen wir uns die Saris und Kunstgegenstände genauer ansehen. Schwiegertochter Priya wickelt einen blauen Seidensari um Bettina Stahn, der ihr sehr gut steht. Wir haben einen Moment Zeit über Margot Sharmas Geschichte nachzudenken. Wie die beiden das geschafft haben, all diese Widrigkeiten und Herausforderungen zu meistern! Zum 80. Geburtstag von Pramod hat Margot ein Fotobuch über ihr gemeinsames Leben zusammengestellt. Wir dürfen einen Blick hineinwerfen. Zum Schluss schreibt Margot, dass sie beide wohl nicht als Lebenskünstler geboren wurden, aber im Lauf der Jahrzehnte gelernt haben, sich auf die jeweiligen Gegebenheiten einzustellen. „Unsere unerschütterliche Liebe füreinander sowie das gegenseitige Vertrauen bildeten dafür das Fundament...im Lebensalltag war es oft der Humor, der uns half, die Dinge nicht allzu ernst zu nehmen.“


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