Montag, 2. Mai 2016

14. Erzählcafé im Körnerkiez

Donnerstag, 28. April 2016

Kalle Kalkowski - Musiker, aufgewachsen im Körnerkiez

Den Rockmusiker Kalle Kalkowski in das Erzählcafé einzuladen ist ein Vorschlag von Astrid Tag vom Quartiersmanagement. „Er stammt aus dem Kiez und ist bei unseren Festen aufgetreten. Ich bin mit ihm befreundet und werde ihn mal fragen.“  Kalle hat zugesagt.
Nun sitzt er im Leuchtturm neben mir und redet. Es entwickelt sich sofort eine freundschaftliche, fast kumpelhafte Atmosphäre. Nach und nach trudeln die Zuhörer ein. Kalle packt seine Gitarre aus und legt sie bereit.

Kalle wird am 20. 1. 1950 als Gottfried Kalkowski im Haus von „Musik-Bading“ in der Thomasstraße geboren. Sein Vater hatte nach dem Krieg dort eine Wohnung bekommen, weil er Tischler war und beim Wiederaufbau des kriegszerstörten Hauses mit anpacken sollte. Schon als Junge beginnt er mit dem Musikmachen und trommelt auf selbstgebastelten Instrumenten. Als er Zuspruch bekommt, bittet er seine Mutter, ihm ein Schlagzeug zu kaufen. Bei Musik Wiebach in der Gneisenaustraße findet sie ein günstiges Angebot und kauft es heimlich, denn der Vater soll es nicht wissen. Schließlich gibt es in dieser Zeit andere Prioritäten.

Gottfried, den alle „Kalle“ nennen, beginnt 1966 mit seinen Freunden Musik zu machen und baut eine Band auf: „The Urchins“. Bei den Auftritten in Jugendheimen und Clubs lernen sie auch andere Musiker kennen. Eines Tages bekommt Kalle ein Angebot, bei den „Screaming Butlers“ als Schlagzeuger einzusteigen. Allerdings muss er das Schlagzeug übernehmen. Es kostet 1000 DM. Woher soviel Geld nehmen? Seine Mutter kann ihm 100 DM geben. Inzwischen hat Kalle eine Malerlehre begonnen, und er bespricht das Problem mit seinem Chef. Dieser leiht ihm 900 DM und wird monatlich 90 DM von seinem Lehrlingsgehalt einbehalten. Da Kalle ein zuverlässiger und tüchtiger Lehrling ist, zieht er nur ein einziges Mal eine Rate ab. „The Screaming Butlers“ (später „The Outs“) spielen alten Beat und Soul sowie Musik der Rolling Stones, Pretty Things und Beatles und ändern jedes Jahr ihr Programm. Bei Bandwettbewerben gewinnen sie die vorderen Plätze.

Dann beginnt die Zeit mit den Mädchen. Plötzlich ist seine Freundin schwanger. Kalle bietet an mit ihr zusammenzuziehen. Sie aber sagt, ihre Mutter bestehe darauf, dass sie heiraten müssten. Kalle fügt sich, und seine junge Frau bringt wenig später eine Tochter zur Welt.

1974 gründet er die Band „Roxenon“, in der Kalle neben dem Schlagzeugspiel auch singt. Es folgen die Bands „Highway“ und „Bleibtreu Revue“. Neben der Musik arbeitet Kalle als Maler, denn von der Musik kann er nicht seine Familie ernähren. In einem dieser Winter fährt Kalle mit seinen Freunden nach Schweden und verliebt sich unsterblich in eine Schwedin. Noch heute tut es ihm Leid, was er damit Frau und Tochter angetan hat. Es sind wilde Zeiten. Die Beziehung zur Schwedin hält gerade ein Jahr. Das Hin- und Herfahren, um sich zu sehen, belastet mehr als dass es erfreut. Ausgerechnet im schlimmsten Drogenschuppen, dem „Sound“ in der Genthiner Straße, lernt er Rita kennen, seine zweite Frau, mit der er heute noch zusammen ist. Rita ist bei Schering Rechtsanwaltsgehilfin und kann gut organisieren. Mit ihr betreibt er einen Farbenladen in der Thomasstraße, den die beiden gekauft haben. Dann planen sie mit dem Flugzeug um die Welt zu reisen und beginnen schon mit dem Räumungsverkauf. Dabei verdienen sie so viel Geld wie nie zuvor, so dass sie mit dem Laden weitermachen wollen und auf die Reise verzichten. Später arbeitet Rita bei Joe’s Bierhaus und sorgt dort für gute Engagements. Ab 1983 tritt Kalle unter seinem eigenen Namen auf mit wechselnden Musikern und verschiedenen Stilen. Inzwischen beherrscht er auch die Gitarre, um bei Einzelauftritten sich selbst begleiten zu können. Das Interessante an Kalles Musik ist, dass er die alten Rocklieder aus den 1960er-Jahren teilweise mit deutschen Texten singt.

1985 wird sein Sohn geboren. Kalle macht fünf Jahre Pause von der Musik und arbeitet als Maler in seiner eigenen Firma. Dann entwickelt er seine erste Langspielplatte unter seinem Namen. Er hat bei Ariola einen Plattenvertrag und bekommt Unterstützung von erfahrenen Leuten. Die LP hat den Titel: „Tief aus’m Bauch“. 1989 folgt die nächste LP „Sturm“, produziert im Studio von Dieter Dirks in Köln. Gast ist Phil May von den Pretty  Things; mit ihm werden Demos in London aufgenommen. Phil und Kalle singen gemeinsam den alten Ohrwurm „Midnight To Six“. Das ist für ihn ein überwältigendes Erlebnis, hat er doch seit seiner Jugend Pretty Things immer bewundert. Nun steht er neben Phil May, der auch noch ein Kopf kleiner ist als er. Die „Sturm“-Produktion führt ihn auch nach Kalifornien zu einer Fotosession mit dem bekannten Fotografen Jim Rakete.

Von 1977 bis 2008 entstehen 6 Singles und vier Alben. Man kann beobachten, wie sich Kalle immer mehr zum Rockpoeten und Liedermacher entwickelt. Er schreibt alle Texte selbst. Die Themen entsprechen seiner Erfahrungswelt: Verliebtheit, Enttäuschung, Alkoholsucht. Er besingt seinen kleinen Sohn („Zwergenland“), die Höhen und Tiefen der Liebe zu seiner Frau Rita, die Trauer über den Tod  eines guten Musikerfreundes; selbst die Schwiegermutter hat ihn zu einem Lied herausgefordert. Seine raue und kräftige Stimme kann er zu unerwarteter Sanftheit und Melancholie modulieren. Bei vielen Liedern möchte man einfach nur tanzen. Manche, wie „Julia“ sind ein Hit geworden.

2011 schreibt Kurt Krömer als Schirmherr des „Heimathafens“ eine Hymne für Neukölln aus. Die Band „Kalkowski“ gewinnt den Wettbewerb mit „Neukölln, du alte Hure...“ Es ist ein großartiger Erfolg. Mit von der Partie ist inzwischen der Schlagzeuger Boris Kalkowski, sein Sohn, auf den er sehr stolz ist. Boris hat nach dem Abitur eine Ausbildung als Malermeister absolviert, erst in Kalles Betrieb mitgearbeitet und sich dann mit einem eigenen Betrieb selbstständig gemacht. Boris ist genau so musikalisch wie sein Vater, und die beiden betreiben in der Thomasstraße ein Musikstudio; demnächst steht eine gemeinsame USA-Reise an. 2015 erscheint die jüngste CD „Kalkowski unterwegs“, wo auch eine Mundharmonika einbezogen wird. Diese CD wurde im neuen Spandauer Studio unter dem eigenen Label „Rebelrogue“ produziert. Zwischendurch gibt es immer wieder Live-Auftritte in kleinen Klubs oder auf Straßenfesten.

Für die Zukunft wünscht sich Kalle noch stärker in die stillere Kleinkunst einzudringen und als Rockpoet Geschichten zu erzählen. Er hat viele Kurzgeschichten und Gedichte über das alltägliche Leben auf Lager, die er vertont.

Zwischendurch greift Kalle immer wieder zur Gitarre und singt ein Lied. Von „Neukölln, du alte Hure“ rezitiert er auch den Text. Wenn er singt, stimmt einfach alles. Er ist authentisch, wirkt ehrlich. Er ist so echt wie die Neuköllner Hinterhöfe, die er liebt, hat eine Zeitung einmal treffend geschrieben. Wir danken ihm für diesen wunderbaren Nachmittag.